Es ist Zeit über Forschungssoftware zu reden
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Es ist Zeit über Forschungssoftware zu reden
Daneben sind mit Data Science und Artificial Intelligence weitere Forschungsmethoden gewachsen, die nicht auf Experimenten basieren, sondern auf Grundlage der Auswertung von vorhandenen Daten und Computeralgorithmen Vorhersagen über noch unbekannte Ereignisse und Eigenschaften machen. Computer haben aber auch die Laborarbeit verändert: Datenbanken erleichtern die Literaturrecherche, programmierte Roboter automatisieren die Laborabläufe und Software-Werkzeuge erleichtern die Analyse, Visualisierung und Interpretation der experimentellen Ergebnisse.
Forschungssoftware als Bestandteil moderner Forschung
Die Aussage, dass Computer die wissenschaftliche Forschung verändert haben, ist jedoch nur die halbe Wahrheit: Es ist ebenso die Forschungssoftware, die wissenschaftliche Arbeit verändert hat. Kaum ein Wissenschaftler kann noch ohne die Verwendung von Software, insbesondere Forschungssoftware, arbeiten. Unter promovierten Wissenschaftler:innen (Postdocs) durchgeführte Umfragen im Vereinigten Königreich (2014)1 und den USA (2017) zeigen die Relevanz von Forschungssoftware für das Wissenschaftssystem: Neun von zehn Befragten gab an, Forschungssoftware zu benutzen (95 Prozent UK, 92 Prozent USA). Zwei Drittel der Befragten gab an, ihre Arbeit nur mit Forschungssoftware durchführen zu können (67 Prozent UK, 63 Prozent US), das heißt nur ein kleiner Bruchteil der Forscher:innen könnte auch ohne die Verwendung von Software forschen.
Diese Zahlen sollten aufhorchen lassen. Nicht nur, weil es wenig Anzeichen gibt, dass die Situation in Deutschland (wo keine derart groß angelegte Untersuchung vorliegt) anders ist, sondern auch weil man davon ausgehen kann, dass durch die verstärkte Verwendung von Methoden der Künstlichen Intelligenz mittlerweile Software eine noch wichtigere Rolle im wissenschaftlichen Alltag eingenommen hat. Daneben haben die Umfragen aber auch gezeigt, dass ein signifikanter Anteil der Wissenschaftler:innen selbst Software entwickelt oder weiterentwickelt. Somit ist nicht nur die Nutzung von Forschungssoftware sondern auch deren Entwicklung zu einem strukturellen Element des Wissenschaftssystems geworden.
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Den Kulturwandel leben
Die Voraussetzungen sind gut: Sowohl die Wissenschaftler:innen als auch die Geldgeber:innen sind gewillt, die Rolle von Forschungssoftware neu zu definieren. Jetzt liegt es an uns allen, diesen Kulturwandel umzusetzen.
Ein erster Schritt könnte sein, die Entwicklung von Forschungssoftware in die Leistungsbewertung einfließen zu lassen, wie es die „San Francisco Declaration on Research Assessment“ (DORA) vorschreibt:
„Die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung sind vielfältig und umfassen Fachpublikationen über neues Wissen, Daten, Reagenzien und Software, geistiges Eigentum und gut ausgebildete junge Wissenschaftler[:innen]. [Geldgeber und Forschungsinstitutionen] berücksichtigen für die Forschungsbewertung neben Publikationen auch alle anderen Forschungsleistungen (einschließlich Datensätze und Software) sowie eine Reihe anderer Faktoren, so wie qualitativer Indikatoren für die Auswirkungen auf der Forschung, zum Beispiel Einfluss auf die Politik.”
DORA wurde inzwischen auch von vielen renommierten Forschungseinrichtungen in Deutschland unterschrieben. Damit haben sie sich verpflichtet, diese Vorgaben in die Bewertung von Abschlussarbeiten, Promotionen, aber auch von Mitarbeiter: innen, Forschungsgruppen und Instituten sowie in Berufungskommissionen umzusetzen.
Der nächste Schritt ist die Verankerung von nachhaltiger Softwareentwicklung in der universitären Ausbildung. Zum einen durch Module in Studiengängen, zum anderen durch zentrale Weiterbildungsangebote zum Beispiel entsprechend dem Software Carpentry-Programm 10. Die Schulung in nachhaltiger Softwareentwicklung, aber auch die Entwicklung von Forschungssoftware
Forschungssoftware selbst benötigt Infrastruktur: Datenbanken zur Bereitstellung von Repositorien, Continuous Integration Server, Infrastruktur zur kollaborativen Softwareentwicklung et cetera. Die Notwendigkeit solcher Infrastruktur ist seit langem bekannt, und doch bauen die Rechenzentren Kapazitäten nur langsam aus – auch weil Anschaffungs- und Betriebskosten bisher nur schwer in den Haushalten abzubilden sind. Forschungssoftware als strategische Infrastruktur zu verstehen erfordert neben dem Ausbau der dafür notwendigen Infrastruktur aber auch die Institutionalisierung von Expertengruppen zur nachhaltigen Entwicklung, Wartung und Bereitstellung von Forschungssoftware. Auch für diese muss – wie im DFG Impulspapier ausgeführt – eine langfristige und belastbare Finanzierung bereitgestellt werden.
Die Notwendigkeit zur Institutionalisierung ist gegeben, die Rahmenbedingungen sind besser als je zuvor, es ist der richtige Moment, Forschungssoftware die Rolle im Wissenschaftssystem zukommen zu lassen, die sie benötigt.
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PD Dr.-Ing. Axel Loewe leitet am Institut für Biomedizinische Technik am KIT ein interdisziplinares Team, das sich der Entwicklung von Computermodellen des menschlichen Herzens widmet.
Jun. Prof. Dr. Hartwig Anzt leitet am Steinbuch Centre für Computing (SCC) eine Forschungsgruppe zu Algorithmen und Software für das wissenschaftliche Hochleistungsrechnen.