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Aus dem Elfenbeintrum heraus zum richtigen Zeitpunkt fliegen lernen

news

Rico Gubler

Governance & Management

Aus dem Elfenbeintrum heraus zum richtigen Zeitpunkt fliegen lernen

Acht kurze Erfahrungsberichte aus dem Spannungsfeld Musikhochschule

Die Ansprüche an das Musikstudium sind hoch, möglichst lange und konzentriert im Elfenbeinturm zu schuften und kaum ist man raus, muss man praxis- und problemlösungserprobt als Entrepreneurin und Unternehmer seiner Kunst im Leben stehen – notabene wie zum Beispiel Georg Friedrich Händel oder Jacques Offenbach um nur zwei von vielen unter den alten Meistern zu nennen. Es ist aber gerade das die Kunst der Studiengestaltung, um die Studierende, Lehrende und Hochschulleitungen Hand in Hand und immer wieder neu ringen müssen, die Kunst, einen Bienenstock an Elfenbeinzimmern und -türmchen zu errichten, durchzogen von Korridoren der Praxiserfahrungen und Balkonen oder Veranden, die zum gemeinsamen Gestalten der zukünftigen Berufs- und Musizierpraxis einlädt. Experimentierzimmer, Labore, Zugänge und Übergänge müssen gelegt und ausprobiert werden.

Foto: Lutz Roessler

Nach beinahe zwanzig Jahren Tätigkeit an Schweizerischen und Deutschen Musikhochschulen, davon über zehn Jahre in leitenden Funktionen ist es Zeit für eine Reflexion. Beschäftigt haben mich insbesondere Aspekte wie die demokratische Grundstruktur, die Implikationen der Wissenschaftsfreiheit für das konkrete Handeln der Hochschulleitung, Chancen und Risiken sowie das Verständnis bei der Etablierung von Strategieprozessen und des studentischen beziehungsweise hochschulischen (Selbst-)Verständnisses des Musikstudiums beziehungsweise Musikstudierens. Der Beitrag ist unter wertvoller Mithilfe von Julia Peters (Stabsstelle für Qualitätsmanagement und Studiengangentwicklung) und Isabell Seider (Strategie- und Entwicklungsplanung, Referentin des Präsidenten) geschrieben worden.

Hochschule – Demokratie unter dem Brennglas
Jede Hochschule ist ein eigener Kosmos, eingebettet in die Gesellschaft. Bestimmte Strukturen und Gesetzmäßigkeiten finden sich im Großen und im Kleinen: Die Musikhochschule, jede Hochschule ist eine eigene Welt, die man erst versteht, wenn man Jahre in ihr verbracht hat. Und doch ist jede Hochschule ein Abbild der Gesellschaft, in die auch sie, wie in einem Rousseau‘schen Klima, eingebettet ist. Die in vielen europäischen Ländern verbriefte Wissenschaftsfreiheit führt in den deutschen Musikhochschulen zu einer basisdemokratischen Grundstruktur. Demokratie funktioniert in diesem Fall „en miniature“, das heißt die Legislative – zumeist der Senat – beschließt die Gesetze und überwacht die Exekutive. Die Exekutive wird in erster Linie durch das Rektorat beziehungsweise Präsidium repräsentiert, meistens mit weiteren Ebenen auf Fakultäts- oder Fachbereichsebene. Die Judikative der Hochschuldemokratie ist in der Regel zuerst als „interne“ Gerichtsbarkeit (Prüfungsausschuss oder Präsidium) und dann als ordentliche Verwaltungsgerichtsbarkeit angelegt, jedoch gibt es hier – im Sinne der staatlichen Gewaltenteilung – kein voll ausgeprägtes Gegenstück.

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Studieren zwischen Betreuung und Selbstverantwortung
Das Studium an einer Hochschule wird mit einem akademischen Grad abgeschlossen. Dies gilt auch für Musikhochschulen. Die allgemeineren und abstrakten Ziele der Bologna-Deklaration der europäischen Bildungsminister:innen aus dem Jahre 1999 sind erstaunlich traditionell und fußen einerseits auf dem herkömmlichen humanistischen Verständnis von universitärem Geschehen, andererseits auf handfesten volkswirtschaftlichen Anliegen. Die Hochschulen sollen den Studierenden die „notwendigen Kompetenzen für die Herausforderungen des neuen Jahrtausends ebenso vermitteln wie ein Bewusstsein für gemeinsame Werte und ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen sozialen und kulturellen Raum“.

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Diskurs und Strategie
Dieses Kapitel ist ein Zwischenergebnis einer konkreten Begebenheit beziehungsweise einer Beobachtung – vielleicht sogar der Auslöser, diese Kapitel zur Hochschulpolitik endlich zu Papier zu bringen: Die Musikhochschule Lübeck führt alle drei Jahre Systembefragungen durch. Hierbei werden alle Mitgliedergruppen systematisch zu unterschiedlichen Themen befragt.

Eine für mich zentrale Frage in der Befragung enthält folgenden Wortlaut: Mir ist klar, welche langfristige Orientierung die Musikhochschule Lübeck verfolgt. Nach nun mehr als acht Jahren beständiger Arbeit der Beteiligung an Hochschulentscheidungen auf unterschiedlichsten Ebenen, einem mehrjährigen Erstellungsprozess für einen Struktur- und Hochschulentwicklungsplan sowie einem vertrauensvollen auf einer transparenten und sicherlich auch inhaltlich sehr weitgehenden Informationspolitik beruhenden Arbeit mit Senat und Hochschulrat, sinken bei dieser Frage die (Wahrnehmungs-)Werte konstant und zwar je weiter die strategische Einbindung der Hochschulmitglieder voranschreitet.

Zu konstatieren ist auch, dass im gleichen Zeitrahmen der Hochschulhaushalt der Hochschule erheblich wuchs und verhältnismäßig viele neu geschaffene Stellen eingerichtet und besetzt werden konnten.

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Wissenschaftsfreiheit – vom Recht zur Pflicht
Die Wissenschaftsfreiheit ist in den deutschsprachigen Ländern und auch in den weiteren europäischen Staaten durchaus unterschiedlich ausgestaltet. Aus staatsrechtlicher Sicht ist sie aber grundsätzlich ein Abwehrrecht, das heißt ein justiziables Recht, um Eingriffe anderer in ihren Schutzbereich zu verhindern. Wird das dem Wert und der Aufgabe der Hochschulen in der Gesellschaft gerecht?

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Transparenz und Vertraulichkeit
Transparenz und Vertraulichkeit, ein Spannungsfeld, zwei gegensätzliche Begriffe? Das trifft zwar bezüglich der individuell-konkreten Einzelentscheidung zu, ob man konkret kommuniziert, also Transparenz schafft oder eben Informationen nicht dem maximalen Adressatenkreis zugänglich macht, also die Vertraulichkeit wahrt. Beide Prinzipien, die notabene das Handeln von Hochschulleitungen täglich prägen, sind urdemokratische Prinzipien und konstituierende Bestandteile ein und desselben Rechtsstaatlichkeitsprinzips. Schützt das eine Legitimation und Vertrauen in das rechtmäßige Handeln, hält das andere die schützende Hand über die Rechte des Einzelnen, des Individuums.

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Das Third-Space-Paradoxon
Anschließend an die Überlegungen zur Wissenschaftsfreiheit ist es mir ein Anliegen auch über ein Paradoxon zu berichten, das insbesondere durch die Akkreditierungspflicht und deren konkrete Umsetzung an Bedeutung zunimmt und die Hochschulen verändert. Ich nenne es hier das Third-Space-Paradoxon.

Aus den angelsächsischen Staaten erreichte die Akkreditierungslogik das Europäische Hochschulsystem im Rahmen der Bologna-Reform und der Diskussionen um die Hochschulautonomie Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. Darum entwickelten sich neben den Akkreditierungsagenturen auch Hochschulleitungen und ministerielle Abteilungen, die fähig sind, sich vertieft mit diesen Vorgängen zu befassen. Die Akkreditierungsprozesse als Qualitätsmanagement-, als Kontroll-, aber vor allem auch als Entwicklungsinstrument entlang den nationalen und übernationalen Referenzrahmen verstehend, bindet die Systematik die Lehrenden, aber auch die Studierenden zentral in die Verfahren ein.

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Fachlichkeit und Hochschulmanagement
Die Hochschulleitungen werden auch im wissenschaftlichen, künstlerischen und pädagogischen Bereich professionalisierter und das eherne Verhältnis zwischen der Rektorin, dem Rektor als primus beziehungsweise prima inter pares und der Kanzlerin, dem Kanzler, als stabile und möglichst dauerhaften Verwaltungsleitung wird immer komplexer. Der Unterschied zwischen der rotierenden (professoralen) Leitung der Selbstverwaltung (Rektorin beziehungsweise Rektor) und der Hochschulverwaltung (Kanzlerin beziehungsweise Kanzler) schmilzt. Für Präsidentinnen und Rektoren auch an Musikhochschulen gibt es unterdessen neue Karrierewege und sie umgeben sich vermehrt mit professionalisierten Stäben.

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Von Elfenbeintürmen, Employability, Persönlichkeitsbildung und Effizienz
Das Studium, wie wir es heute kennen, gibt es noch nicht so lange. Zumindest die Aspekte Chancengleichheit durch Stipendien und Freiheit von Studiengebühren, aber auch die Beschränkung auf in etwa fünf Jahre Studium, die Existenz von verbindlichen Prüfungs- und Studienplänen, um nur wenige Punkte zu nennen, sind gleichsam Errungenschaften oder teilweise auch der Preis für den Fortschritt der Gesellschaften. Dazu müssen wir nicht mal in die fernen Zeiten der Bettlerstudierenden und des über 20-jährigen Studierens an der mittelalterlichen Universitas zurückgehen.

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Fazit
Das semipermeable Außen und Innen einer Musikhochschule und deren individualisierbare Struktur können das Geheimnis einer gelungenen Musikhochschule sein – und diese kann nur leben durch die persönlichen Begegnungen zwischen Lernenden und Lehrenden sowie einer tüchtigen Prise Gastfreundlichkeit für fremde Ideen, Menschen und Musik aus allen Himmelsrichtungen, aus allen Generationen und allen Zeitaltern – und Wagemut, davon sollte reichlich bemessen sein.

Das Wertvollste vielleicht, oder der Humus, auf dem das eben beschriebene überhaupt erst gedeihen kann, ist die Zeit. Diese weitere ressourcenbestimmende Dimension der Hochschulgestaltung ist eng bemessen und muss in einem auf dem Gleichheitsgrundsatz aufbauenden Staat, wie ihn die moderne Bundesrepublik darstellt, sorgfältig gestaltet und verwaltet werden. Nach einigen Jahren Leitungserfahren bin ich der Ansicht, dass dies vielleicht zwei wirklich wichtige Fragen sind, die jede Musikhochschulleitung immer wieder neu reflektieren und bearbeiten muss: Erstens, wie gehen wir mit der Ressource Zeit im Musikstudium um und zweitens, wie ist es möglich, unter Wahrung der Gleichbehandlung, dass individuelle und unverwechselbare künstlerische Persönlichkeiten zum richtigen Zeitpunkt fliegen lernen?

 

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Professor Rico Gubler ist studierter Saxophonist, Komponist und Jurist. Der gebürtige Schweizer leitet seit 2014 als Präsident die Musikhochschule Lübeck und wechselt zum 1.2.2023 als Fachbereichsleiter Musik an die Hochschule der Künste Bern.

Foto: Lutz Roessler