Alternativen zur Wissenschaft werden salonfähig
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Karrieren in Deutschland
Alternativen zur Wissenschaft werden salonfähig

Es reiste auch eine sechsköpfige Delegation des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung nach Boston. Und die Abgeordneten nutzen die Gespräche und Foren. Damit erreichen die Erfahrungen und Anregungen, die deutsche und erstmals auch eine kleine Gruppe amerikanischer Forscher auf der GAIN formulierten, die Gremien des Deutschen Bundestages.
Das Davos der deutschen Wissenschaft liegt seit Jahren in den USA. Dort treffen sich zum Herbstbeginn im Wechsel der Küsten Vertreter der deutschen Wissenschaftsorganisationen und Hochschulen. Ein Jahr in San Francisco – dann geht es nach Boston. Zwischen dem IT-Eldorado am Pazifik und den Forschungstempeln der Life-Sciences und Ingenieurwissenschaften am Atlantik vibriert dann an drei Tagen die Luft. Die Atmosphäre ist kreativ, Gespräche finden auf Augenhöhe statt – manche Offizielle aus Deutschland verzichten auf eine Krawatte. Es ist eine Mischung aus Information, Kennenlernen und Rekruting. Claudia Lücking-Michel, CDU/CSU-Bundestagsabgeordnete nahm wie die gesamte Ausschuss-Delegation erstmals teil, und sagt: „Die Chance auf Differenz- Erfahrung – zu sehen, was anderswo anders gemacht wird – , das ist der Wert der Internationalisierung.“ Dieser zeige sich in Gestalt des GAIN-Konzeptes und in den Biografien der versammelten deutschen Forscher.
Attraktivität Deutschlands ist da
Die Marke Germany verkauft sich derzeit gut. Ein Universitätspräsident bringt es auf den Punkt: „Auf früheren GAIN-Veranstaltungen sagten die Forscher, dass man vielleicht nach Deutschland zurückkehren wolle – heute heißt es: Ich will wieder zurückkommen.“ Und Karamba Diaby, Bundestagsabgeordneter der SPD, ergänzt: „Von niemandem habe ich gehört, das man keinesfalls einen Wechsel überlege – Unsicherheit habe ich noch gespürt bei manchen. Aber die Attraktivität von Deutschland ist da.“
Verlässliche Informationen aus erster Hand, das ist Wert der GAIN-Messe. Aussteller zei- gen sich dort. In den vorgesehenen Netzwerkpausen des GAIN-Vortragsprogramms brummt das Geschäft mit dem Gespräch. Rektorinnen wie Beate Schücking, Universität Leipzig, nehmen die Gelegenheit wahr. Sie stehen selbst an ihren Messeständen, gehen auf die Einzelnen zu. Schücking nutzt jeden Kontakt, spricht mit Postdocs, erklärt die Verbesserung der deutschen Rahmenbedingungen in Lehre und Forschung – und vor allem der Spitzenwissenschaft in Exzellenzclustern. In den Diskussionen machen die deutschen Wissenschaftsvertreter klar, dass die früheren Grenzen zwischen Universitäten, Fachhochschulen und außeruniversitären Einrichtungen immer durchlässiger geworden sind. Von einer kleinen Fachhochschule bis zur großen Helmholtz-Gemeinschaft erfährt man, dass im Ausland die nationalen Profilierungen teilweise abgelegt werden: Es wird sachlich und geschlossen für den Forschungsstandort geworben. Erst wenn die Gespräche individuell konkret werden, muss das Eigeninteresse Vorrang haben.
Die Leipziger Rektorin – so sieht es von weitem aus – entwirft, was Leipzig im transatlantischen Forschungsraum anbieten kann. Das versuchen auch die Standteams der Universitäten Bonn, die des KIT aus Karlsruhe, der Bauhaus Universität Weimar und der Fraunhofer-Gesellschaft. In wenigen Minuten entscheidet sich oft, ob die Gespräche vertieft werden können. Wenn die Interessenten dann später an eine deutsche Einrichtung wechseln, wird nicht mehr klar sein, was den eigentlichen Ausschlag gegeben hat. Ist es das Geld, die neuen Themen oder flexiblere Formen, wie heute Forschung in Deutschland betrieben werden kann?
Mehr Geld und neue Strukturen
Die GAIN-Gespräche zeigen, dass es zwei entscheidende Faktoren gibt. Einerseits hat der deutliche Zuwachs der Finanzmittel für die deutsche Forschung ein großes Gewicht. Anderseits gibt es neue Lehr- und Forschungsformate. Die Exzellenzinitiative, die laut Dorothee Dzwonnek, Generalsekretärin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, rund 6000 neue Stellen und verbesserte Strukturen für die Forschung in Deutschland geschaffen habe, sei zu einem internationalen Markenzeichen geworden. Auch der Zuwachs des Haushaltes im Bundesforschungsministerium (BMBF), der 2017 auf 17,5 Milliarden Euro wachsen soll, beeindruckt die GAINTeilnehmer. Cornelia Quennet-Thielen, Staatssekretärin im BMBF, erklärt: „Es wurden Verlässlichkeit und Planungssicherheit geschaffen: Seit 2005 wurden 75 Prozent mehr Forschungsprojekte und eine 56 Prozent höhere institutionelle Förderung ermöglicht.“ Gleichwohl wissen alle, dass die Grundmittel der von den Länderhaushalten abhängigen Hochschulen nicht angewachsen sind. Das ist die Schneise, die in der deutschen Lehr- und Forschungslandschaft in den nächsten Jahren aufgeforstet werden muss.
Der zweite Positiv-Faktor betrifft die neuen Strukturen. Wieder ein Blick zurück an die Messestände. Hans Müller-Steinhagen, Rektor der Technischen Universität Dresden, erklärt sein attraktives Tenure Track-Modell. „Open Topic“ heißt es und bietet zehn herausragenden Wissenschaftlern eine Karriereperspektive bei freier Themenwahl. Mit diesem Wintersemester sollen alle zehn Nachwuchsstellen besetzt sein. Aus 1340 Bewerbungen, sehr viele kamen aus dem Ausland, wurden die Top-Kräfte rekrutiert. Ein solches Tenure Track, das Bestandteil der Dresdener Exzellenzkonzeption ist, belegt, wie sich finanzielle Spielräume mit kreativen Ideen gut mischen.
Unternehmen wie ZEISS und die KWS Saat aus Einbeck haben GAIN ebenso entdeckt. Boston Consulting ist da, Patentanwälte tauschen sich mit Forscherinnen aus. Die Unternehmen sind zufrieden. Denn hier fühlen sie eigenen Angaben zufolge „am Puls des nordamerikanischen Wissenschaftsmarktes“. Und sie können dort hinein zurücksenden, dass eine Forschungskarriere in Unternehmen eine verlässliche Alternative ist. Andreas Barner, Vorsitzender der Unternehmensleitung von Boehringer Ingelheim und Präsident des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, versichert: „Die Industrie ist immer bestrebt, Mitarbeiter zu halten – die Zukunft des Mitarbeiters liegt innerhalb des Unternehmens, nicht außerhalb.“
Für viele Teilnehmer war neu, dass Alternativen zu einer Karriere in der Forschung vom Nachwuchs „so deutlich“ besprochen werden. Die sinkende Zahl verfügbarer Tenure Track-Stellen in den USA aber auch eine realistische Einschätzung der deutschen Möglichkeiten öffnen den Blick in Richtung der forschenden Industrie und des Wissenschaftsmanagement. Eine Doktorandin sagt: Ungeachtet der sehr positiven Entwicklung im deutschen System stünden aber auch dort nicht allen, die eine Professur anstrebten, diese gesuchte Stelle zur Verfügung. Somit sei die Wirtschaft „eine seriöse Option“ und ergänzt: Im Wissenschaftsmanagement müsse sich noch zeigen, wo dieses überall im System stattfinde, welche Karrieremöglichkeiten bestünden und ob es auch genügend planbare Stellen gebe.
Überparteilicher Konsenz
Für Martin Rabanus, SPD-Fraktion im Bundestag, sind solche Einschätzungen eine Vorlage für die politische Debatte. „Wir müssen in Deutschland am Prinzip der öffentlichen Finanzierung von Bildung und Forschung festhalten und damit einen anderen Weg als die USA gehen.“ Und jetzt, da das Ansehen des Forschungsstandortes gestiegen sei, müsse auch langfristig eine bessere Grundfinanzierung in die Hochschulen fließen und ein insgesamt höheres Angebot an wissenschaftlichen Dauerstellen finanziert werden. Dem stimmt Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen, zu. Der finanzielle Zuwachs müsse weitergehen. Er sei aber kein Selbstläufer. „Es stehen auch wieder härtere Debatten an, wenn sich das wirtschaftliche Umfeld eintrübe.“ Insgesamt ging von GAIN aber ein positives Signal aus – auch deshalb, weil es trotz aller Herausforderungen einen „überparteilichen Konsenz darüber gibt, was zu tun ist“, resümiert Dorothee Dzwonnek.
Diesen Artikel und Beiträge zum Schwerpunkt "Standortfaktor Universität" lesen Sie in der aktuellen Ausgabe von WISSENSCHAFTSMANAGEMENT.
Bild: Stephanie Hofschlaeger/pixelio www.pixelio.de