Strukturelle Rahmenbedingungen in der hochschulischen Pflegeausbildung
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Pflegeausbildung
Strukturelle Rahmenbedingungen in der hochschulischen Pflegeausbildung
Das Pflegeberufegesetz (PflBG) von 2020 legt fest, dass die Hochschule die Gesamtverantwortung auch für die Koordination der praktischen hochschulischen Pflegeausbildung übernimmt. Für die Durchführung der Praxiseinsätze schließen Hochschulen deshalb Kooperationsvereinbarungen mit den Praxiseinrichtungen nach § 7 Abs. 1 PflBG ab (§ 38 Abs. 4 PflBG). Eine Kooperation der praktischen Lernorte ist im Rahmen des Pflegestudiums dementsprechend unabdingbar für das Erreichen der Ausbildungsziele und die „systematische Verknüpfung zwischen theoretischen Inhalten, wissenschaftlichen Grundlagen und Erfahrungswissen. Die Kooperation der Lernorte und die Entstehung neuer Lernortkombinationen waren einer der wichtigen Punkte im Reformprozess der Pflegeausbildung“ (Vosseler 2015, 209, zitiert nach Sahmel/Leibig 2018, 211). Mit der Etablierung der primärqualifizierenden Pflegestudiengänge1 stehen Hochschulen und ihre Praxispartner vor neuen Herausforderungen. Lernortkooperationen und ihre Organisation sind hierbei eine der zentralen Herausforderungen, die sich in dem spezifischen Format eines primärqualifizierenden Pflegestudienganges stellt.
Methode
Um die Frage nach Erfolgsfaktoren hinsichtlich der Lernortkooperation und deren Organisation zu beantworten, wurden 26 teilstrukturierte Expert:inneninterviews, online oder telefonisch durchgeführt, aufgezeichnet und anschließend transkribiert. Insgesamt wurden dabei vierzehn Personen von zwölf verschiedenen Hochschulen aus sieben Bundesländern befragt. Darunter befanden sich sieben staatliche Hochschulen für angewandte Wissenschaften, zwei staatliche Universitäten und drei kirchliche Hochschulen. Darüber hinaus wurden 13 Interviews mit zentralen Praxisanleiter:innen geführt, die in den Kooperationseinrichtungen der befragten Hochschulen für die praktische Ausbildung im Rahmen der hochschulischen Pflegebildung zuständig sind. Zu den befragten Praxiseinrichtungen zählten zehn Kliniken, darunter waren drei Universitätskliniken und drei Kliniken in kirchlicher Trägerschaft. Zudem wurden Pflegefachpersonen aus zwei Pflegeheimen und einem ambulanten Pflegedienst befragt.
Erfolgsfaktoren hinsichtlich der Lernortkooperation und Organisation
Erfolgsfaktoren einer gelungenen Lernortkooperation zwischen Hochschule und Praxiseinrichtungen beziehen sich in erster Linie auf die strukturelle und organisatorische Koordinierung, eine inhaltliche Abstimmung, sowie durch ein gemeinsam getragenes Verständnis über die Unterstützung der Studierenden in deren Lernprozess. Dies lässt sich inhaltlich auf den Kooperationsvertrag, die Koordination zwischen den Lernorten, die Finanzierung und das Qualitätsmanagement differenzieren.
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Kooperationsvertrag
Die Resultate der Literaturrecherche und durchgeführten Interviews weisen auf eine notwendige Standardstruktur eines Kooperationsvertrages hin (Knoch 2019). …
Transparenz und verbindliche Vorgaben der Hochschule an die Praxiseinrichtungen sind von daher entscheidend. Die Praxiseinrichtungen stellen die Praxisanleitungen für die Pflegestudierenden sicher. Dabei ist die gemeinsame Festlegung von Rollen und Aufgaben der Praxisanleitenden von hoher Bedeutung. Diese Zuschreibungen entsprechen bestenfalls dem Niveau einer hochschulischen Pflegeausbildung. Dieses bietet dem Praxisanleitenden Handlungssicherheit gegenüber den Studierenden und fördert eine gute Zusammenarbeit. Die verschiedenen sozialen Formen der Anleitung und Begleitung sollten definiert und voneinander abgegrenzt werden (Cremonini et al. 2015; De Swardt 2019; Omansky 2010; Williamson et al. 2011).
Koordination zwischen den Lernorten
Die Lernortkooperation wird durch zentrale Ansprechpartner:innen auf beiden Seiten vereinfacht. An den meisten Hochschulen gibt es Praxiskoordinatoren beziehungsweise -innen, die für Akquise, organisatorische Absprachen mit den Praxiseinrichtungen, Planung der Praxiseinsätze und die mit der Zuteilung der Studierenden zuständig sind. Die Abstimmung während der Praxiseinsätze zwischen Praxisanleitung und Praxisbegleitung erfolgt im Rahmen von Besuchen der Praxisbegleitung in den Praxiseinrichtungen. Die Studie zeigt auf, dass eine hohe Anzahl an Kooperationspartnern Abstimmungsprozesse und die Kommunikation erschweren können. Die befragten Hochschulen haben unterschiedliche Formen des Austausches zwischen Hochschule und Praxiseinrichtung festgelegt. Die Vernetzung zwischen Hochschule und Praxis ist in den befragten Einrichtungen unterschiedlich stark ausgeprägt. Dort, wo es schon vor dem 2020 in Kraft getretenen Pflegeberufegesetz (PflBG) ausbildungsintegrierte Studiengänge gab, sind zum Teil bereits Arbeitsgruppen mit Vertreter:innen aus Hochschulen und Praxis etabliert. Die bisherigen Kooperationsstrukturen wurden bei Bedarf angepasst. Diese Arbeitsgruppen werden zum Beispiel als Praxisanleitertreffen, Kooperationspartnersitzungen auf Leitungsebene oder Treffen mit Praxistrainer:innen genannt.
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Finanzierung
Laut den Ergebnissen der Literatursichtung und der Befragung zu Folge, sehen sowohl Hochschulen als auch Vertreter:innen der Praxis die fehlende gesetzliche Regelung zur Refinanzierung der Praxisanleitung als größte Herausforderung an.
Hinsichtlich der Praxisanleitung wird die Problematik der Refinanzierung sowohl von Vertreter:innen von Verbänden, Hochschulen, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen thematisiert. Derzeit tragen die Praxiseinrichtungen die Kosten für die Praxisanleitung selbst. Dies führt dazu, dass die zu gewährleisteten Praxisanleitungen entweder gar nicht angeboten werden können oder die Anzahl der Praktikumsplätze den Bedarfen nicht entspricht. In der Konsequenz werden Praxiseinrichtungen von der „Weiterentwicklung des Berufsfeldes strukturell abgeschnitten“, wodurch „bildungs- und gesundheitspolitischen Ziele“ grundsätzlich nicht erreicht werden (Vertreter:innen von Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Berufsorganisationen und der Wissenschaft in Sachsen 2020, 1). Handlungsbedarf besteht bei den zeitlichen Ressourcen für die Praxisbesuche, da die Lehrenden dafür zusätzlich freigestellt werden sollten. Aktuell reichen die zeitlichen Ressourcen insbesondere bei Hochschulen im ländlichen Raum oftmals nicht aus, um alle Studierenden einzeln in ihren Praxiseinrichtungen zu besuchen.
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Qualitätsmanagement
Qualitätskriterien für das hochschulische Praxislernen in der Pflege wurden beispielsweise von Nick und Kolleg:innen beschrieben. Dazu gehören 55 Kriterien, die in fünf Dimensionen untergliedert sind. Diese sind organisationale, personelle, infrastrukturelle, formale und didaktische Dimension. Da nicht alle Praxiseinrichtungen in der Lage sein werden, kurzfristig die nötigen Standards zu erfüllen, empfiehlt Eberhardt (2019) den Aufbau von „Praxisentwicklungsstationen“. Diese verpflichten sich der Implementierung einer evidenzbasierten Pflege und der gezielten Personalentwicklung. Sahmel und Leibig (2018) weisen darauf hin, dass die Qualität der Anleitung in den Pflegestudiengängen vor einer empirischen Überprüfung steht. Im Weiteren führen sie aus, dass die „Hochschulen über den Abschluss entsprechender Kooperationsvereinbarungen bei der Akkreditierung von Studiengängen sicherlich Einfluss auf die Festsetzung von Standards“ haben können (Sahmel/Leibig 2018, 211).
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Fazit
Die Akademisierung der Pflege in Deutschland ist noch nicht weit vorangeschritten. Die Lernortkooperation im Rahmen der hochschulischen Pflegeausbildung erfordert aktuell von allen Beteiligten ein hohes Maß an Flexibilität und Engagement. Dabei ist zu beachten, dass sich die Primärqualifizierten Pflegestudiengänge noch in der Anfangsphase befinden. Wesentliche Faktoren, um die beiden Lernorte Theorie und Praxis miteinander zu verbinden, sind eine partnerschaftliche, organisatorische Koordinierung sowie inhaltliche Abstimmung der Studieninhalte. Für eine Lernortkooperation sind ein gemeinsames Verständnis über die Ziele der Kooperation, Aufgaben und Rollen der beteiligten Partner essenziell. Dies sollte schriftlich in einem Kooperationsvertrag verankert werden.
Ein weiterer Erfolgsfaktor stellt die Anbindung der Praxiseinrichtungen in die Planung von Studiengängen dar, zumal laut der oben genannten Untersuchung, die Einrichtungen viel Interesse an einer vertieften Zusammenarbeit aufwiesen. Vor allem das Modulhandbuch der Hochschule sollte gegenüber den Praxiseinrichtungen transparent kommuniziert werden.
Zur hochschulischen Praxisbegleitung gehört neben der Begleitung der Studierenden auch die Begleitung der Praxisanleitenden. Erfolgsfördernd sind strukturell verankerte, regelmäßige Abstimmungstreffen, in denen eine Kommunikation auf Augenhöhe stattfinden sollte. Feste Ansprechpartner:innen auf beiden Seiten vereinfachen die Koordination.
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Dr. Lukasz Hill ist Senior Consult mit dem Arbeitsschwerpunkt Forschung und Evaluation beim Beratungsunternehmen für strategisches Hochschulmanagement, der CHE Consult.
Laura Wallor ist Senior Consult beim Beratungsunternehmen für strategisches Hochschulmanagement, der CHE Consult und arbeitet besonders in Strategieprojekten und Evaluation.
Bettina Dauer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Bundesinstitut für Berufsbildung in Bonn mit den Arbeitsschwerpunkten Hochschulische Pflegeausbildung und Praxisanleitung.