Statt Sanierungsstau
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Hochschulbau und Nachhaltigkeit
Statt Sanierungsstau
Hochschulen erforschen die menschgemachte Klimakrise, entwickeln Klimaanpassungsstrategien und optimieren Erneuerbare Energien. Gleichzeitig sind die Hochschulen mit ihrer veralteten Bausubstanz zu energetischen Dinosauriern geworden. Auf sie ist ein großer Teil der CO2-Emissionen der Landesliegenschaften zurückzuführen. Große Universitäten verbrauchen so viel Energie wie eine mittelgroße Stadt. Die Sanierung und Modernisierung von Hochschulen ist damit nicht nur im Hinblick auf zeitgemäße Rahmenbedingungen für exzellente Forschung, Lehre und Transfer von zentraler Bedeutung, sondern auch zur Verbesserung der Klimabilanzen der Länder und somit zur Einhaltung der gesetzlichen Klimaschutzziele.
Investitionen in die Modernisierung
Der „allgemeine“ Hochschulbau ist eine der größten Baustellen für eine zukunftsfähige und klimaneutrale Wissenschaft. Laut §91b des Grundgesetzes liegt die Zuständigkeit für diese Aufgabe alleinig bei den Ländern. Ausgenommen sind Forschungsbauten, Großgeräte und der „Verbund für Nationales Hochleistungsrechnen“, sie werden von Bund und Ländern gemeinsam gefördert. Im Zeitraum von 2008 bis 2020 haben die Länder rund 29 Milliarden Euro für den Hochschulbau bereitgestellt. Die Investitionen von Bund und Ländern in die Forschungsinfrastrukturen beliefen sich seit 2007 auf etwa 6,6 Milliarden Euro. Um weiterhin ein Spitzenreiter bei Innovationen zu bleiben und die Infrastrukturen des Wissens allerorts auf die Höhe der Zeit zu bringen, sind höhere Investitionen in die Modernisierung erforderlich.
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Mit Blick auf die Einrichtungen des Wissens und deren Nachhaltigkeit setzt auch der Bund Impulse. Im Jahr 2023 hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eine Nachhaltigkeitsstrategie vorgelegt, die drei strategische Ziele verfolgt: Erstens, die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen konsequent in Bildungs-, Forschungs- und Innovationspolitik zu berücksichtigen. Zweitens, die Bildungs-, Forschungs- und Innovationsförderung stärker auf das Thema Nachhaltigkeit auszurichten und drittens, das Verwaltungshandeln ebenso.
Ein Handlungsfeld zur Erreichung des dritten Ziels ist die Förderung von Nachhaltigkeit an den außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die vom BMBF gefördert werden, sowie an den Hochschulen. Im Rahmen der Förderinitiative „Klimaneutrale Wissenschaft“ fördert das BMBF „Transformationspfade für nachhaltige Hochschulen“. In elf Forschungsverbünden arbeiten 35 Hochschulen an Lösungen für klimaneutrale Hochschulen und der Integration von Nachhaltigkeit in die Lehre. In den Verbünden werden Konzepte und Best-Practices erprobt, die später Anwendung in der gesamten Hochschullandschaft finden können. Die Projekte beschäftigen sich beispielsweise damit, welche Energieeinsparpotenziale an Hochschulen bestehen, wie Klimaanpassung gelingt oder wie die einzelnen Statusgruppen an Hochschulen in die Transformation zu Nachhaltigkeit einbezogen werden können. Die Chancen, die in der Einrichtung von Reallaboren liegen, werden nochmals erprobt. Und es wird erforscht, wie Mobilitätskonzepte zur Klimaneutralität von Hochschulen beitragen können und welche Chancen in der Verankerung von Hochschulen in ihrer Region liegen.
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Die GRÜNE Bundestagsfraktion hat 2021 den Antrag „Klimaneutrale Wissenschaft und Forschung“ in den Bundestag eingebracht. Dieser Antrag fordert sowohl ein Programm, um die klimaneutrale Modernisierung der Hochschulen voranzutreiben, als auch die Förderung einer klimaneutralen Wissenschaft und Forschung. Denn in der Kombination von Wissenschaft, Hochschulinfrastrukturen und Nachhaltigkeit liegt eine Chance: Hochschulen sind prädestiniert als Zukunftslabore für die klimaneutrale Gesellschaft. Als Infrastrukturen des Wissens sind sie kreative Pioniere des Wandels und sollten als Klima-Vorreiter fungieren können. Angesichts ihrer wichtigen Funktion erscheint ein stärkeres Engagement des Bundes als notwendig. In dem Antrag wird auch herausgearbeitet, welche Handlungsfelder auf dem Weg zur klimaneutralen Hochschule wichtig sind: Sie umfassen „Forschung und Innovation“, „Studium und Lehre“, „Transfer und Vernetzung“, „Infrastruktur und Betrieb“, „Mobilität und Austausch“, „Personal und Governance“.
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Im Jahr 2022 hat sich in der KMK eine „Ad-hoc Arbeitsgruppe“ gebildet, die sich mit den Themen Hochschulbau und Nachhaltigkeit befasst. In ihrem „Bericht zur klimagerechten Sanierung der staatlichen Hochschulen in Deutschland“ kommt die KMK zu dem Schluss, dass von den etwa 74 Milliarden, auf die sich der Sanierungsstau an den Hochschulen beläuft, etwa 22 Milliarden für die klimagerechte Sanierung der Hochschulen aufgewendet werden müssten. Um diese zu ermöglichen, schlägt die KMK „eine über 15 Jahre befristete und zweckgebundene finanzielle Unterstützung durch den Bund“ vor. In diesem Zeitraum könnte sich die Unterstützung des Bundes auf 1,5 Milliarden Euro jährlich belaufen „für Klimaschutzmaßnahmen, klimagerechte Sanierung und klimagerechte Umstellung der Versorgungsinfrastruktur“. Dieser Pfad ist plausibel, ihn aufzugleisen und umzusetzen, wäre sinnvoll und zukunftsgerecht.
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An vielfältigen Initiativen und Maßnahmen in der Wissenschaft wird deutlich, dass sich die Forschenden, Studierenden und auch viele Hochschulleitungen auf den Weg zur Klimaneutralität gemacht haben. Diese Bottom-up-Bewegung braucht einen Push „von oben“. Laut des Stifterverbands verfügt bereits jede vierte Hochschule über eine Nachhaltigkeitsstrategie, weitere 64 Prozent der Hochschulen machen sich auf den Weg und planen eine solche. Mehr als jede zweite Hochschule verfügt über einen Nachhaltigkeitsbeauftragten. Auch die Energiekrise im Winter 2023/24 kann als Beispiel gelten, welch immense Energieeinsparpotenziale vielerorts vorhanden sind und mit welcher Kreativität sie gehoben werden können.
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Fazit
Das Engagement für klimaneutrale Hochschulen bietet eine große Chance: Die Rolle der Hochschulen hat sich in den letzten Jahrzehnten stetig weiterentwickelt. Viele der heutigen Hochschulgebäude stammen aus einer Zeit, in der beispielsweise Wissenschaftskommunikation noch in der bloßen Vermittlung von Wissen angelegt war. Heute setzen wir viel stärker auf Citizen-Science und die Co-Produktion von Wissen. Diese Entwicklungen stellen auch andere Anforderungen an Hochschulbauten und müssen bei Sanierung berücksichtigt werden.
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Während der Corona-Pandemie haben viele Hochschulen einen Digitalisierungsschub erfahren. Forschungsarbeit wurde teils ins Homeoffice verlegt, Studierende per Videokonferenzen ausgebildet, Verfahren digitalisiert. Im Zuge der Digitalisierung entwickeln sich neue Formate für Forschung, gemeinsames Lernen und Administration. Trotzdem liegt die Zukunft der Hochschulen in der Präsenz. Forschung und Kreativität leben vom gemeinsamen Austausch. Hochschulen sind nicht zuletzt ein sozialer Ort und sollten dies auch bleiben – hier entwickeln junge Menschen ihre Persönlichkeit und schließen Freundschaften fürs Leben.
Investitionen in die klimaneutrale Sanierung von Hochschulen stellen sicher, exzellente Forschung zu leisten, gute Lehre, Innovation und Transfer zu ermöglichen. Gleichzeitig helfen sie, Fortschritte auf dem Weg zur Klimaneutralität zu erzielen. Hochschulen sollten Orte sein, an denen die klimaneutrale Zukunft erdacht und gelebt wird. Das sollte sich auch in ihren Infrastrukturen widerspiegeln. Deswegen sollten wir die bestehenden Initiativen unterstützen und Hochschulen in einer gemeinsamen Kraftanstrengung sanieren sowie klimaneutral modernisieren.
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Kai Gehring MdB (Bündnis90/Die Grünen) ist Vorsitzender des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung im Bundestag.
Foto: Mirko Raatz