Die unvollendete Reform
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Kommentar
Die unvollendete Reform
Bereits in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde intensiv darüber diskutiert, ob man Studienabbrechern nicht ein „Zeugnis“ ausstellen solle. Denn schließlich hätten sie ja auch ohne Abschluss etwas gelernt. Man führte das Vordiplom (Zwischenprüfung) ein, um Studierenden rechtzeitig deutlich zu machen, ob es für sie lohne, bis zum Ende zu studieren. Schnell setzte sich in den Geisteswissenschaften der Magister (MA) durch, den viele anstelle eines Staatsexamens wählten. Nun sollten Bachelor und Master dafür sorgen, dass junge Deutsche schneller die Hochschule verließen und wenigstens ein Semester im Ausland studierten. Außerdem sollte das neue System in der Europäischen Union zu einer Vereinheitlichung der akademischen Grade führen. Halbwegs bewährt hat sich das neue System an den Fachhochschulen (heute weithin Hochschulen genannt) mit ihrem traditionell berufsorientierten Studium. Doch ob Fachhochschule oder Universität: Alle klagen über die Verschuldung des Studiums. Die ständigen Prüfungen lassen keine Zeit zum selbständigen Arbeiten. Ein Wechsel der Hochschule oder gar ein Auslandssemester ist wegen ungeklärter Anerkennung erworbener Leistungen weithin ausgeschlossen. Ganz abgesehen davon, dass die Lerninhalte nicht wirklich neu sind (sieht man von neuen Fächer-Angeboten einmal ab) und dass es vielen Dozenten an der notwendigen Qualifikation mangelt. Um überhaupt die notwendigen Dozentenstellen zu besetzen, werden oft Akademiker und Praktiker zum Professor ernannt, die diese Bezeichnung eigentlich nicht verdienen. Dass BA-Absolventen kaum arbeitslos sind, liegt vor allem daran, dass viele von ihnen den Master ablegen wollen – für den es aber gerade an den Universitäten zu wenige Studienplätze gibt. Und durchschnittlich 23 Prozent der BA-Studierenden brechen das Studium ab. Eine erschreckend hohe Zahl. Auch die ursprüngliche Forderung, das Alter der Hochschulabsolventen zu senken, gilt nicht mehr unbedingt – G 8 und Wegfall der Allgemeinen Wehrpflicht/Zivildienst haben zu einer erheblichen Verjüngung der Hochschulen geführt. Stattdessen klagen immer mehr Industrieunternehmen, dass ihnen die Facharbeiter ausgehen. Nicht zuletzt deshalb, weil diese nun lieber den BA erwerben. BA klingt offenbar besser als Facharbeiter oder Meister. Ist die Reform also gescheitert? So weit kann man nicht gehen. Aber sie ist unvollendet. Die BA-Studierenden benötigen mehr Luft zum Atmen und zur freien Arbeit, bessere Dozenten, ausreichend Master-Studienplätze und ein Lehrangebot, das ihnen echte Chancen im Beruf eröffnet und ihnen den Ruf des Schmalspurakademikers nimmt. Gleichzeitig müssen die international angesehenen Diplom-Studiengänge in Natur- und Ingenieurwissenschaften weiterhin angeboten werden. Warum auch nicht, wenn man in vielen Fachrichtungen ja auch die bewährten Staatsexamen bestehen lässt. Schließlich haben die nachdrücklichsten Reformbefürworter eingesehen, dass ein BA in Jura noch keinen Referendar macht, ein BA in Medizin keinen Arzt, ein BA in Theologie noch keinen Vikar. Es wird höchste Zeit, dass sich Gegner und Befürworter des Bologna-Prozesses nicht länger gegenseitig verteufeln, sondern aus der unvollendeten Reform endlich eine gelungene machen, die den vielfältigen Begabungen junger Menschen gerecht wird und eine Vielfalt akademischer Studiengänge und Prüfungen zulässt. Neben dem BA und dem MA haben nicht nur die traditionellen Examensprüfungen ihren Platz, sondern auch das Diplom. Noch wichtiger aber ist, dass die Studieninhalte stimmen. Es wird Zeit, dass Politik und Hochschulen die Ärmel hochkrempeln und die unvollendete Reform zu einem guten Ende bringen. Das kostet Geld. Wer dies aber jetzt nicht aufbringen will, muss wissen, dass dies die Zukunft des Landes kostet, das sich eine schlecht ausgebildete Akademikerschwemme einfach nicht leisten kann. Bild: Stephan Bachmann/pixelio



















