Weder „offen für alle“ noch „kostenlos“!
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Open Innovation
Weder „offen für alle“ noch „kostenlos“!

Eine sich stark abgrenzende Nachbarschaft trifft sich mit der Zeit doch im frei zugänglichen Raum. Bild: Marc Tollas/pixelio www.pixelio.de
Das Open Innovation-Modell von Chesbrough (2003) ist ein wertvoller Beitrag zur Analyse von Innovationsprozessen in Unternehmen. Zum einen ist es eine gelungene Beschreibung des Wandels im Innovationsmanagement von Unternehmen in den vergangenen Jahrzehnten durch den Ausbau des öffentlichen Wissenschaftssystems, verkürzte Produktlebenszyklen oder das Internet. Zum anderen bietet Open Innovation eine neue, systemische Sicht auf die Entwicklung von Innovationsstrategien in Organisationen, die über das bisherige Verständnis von Wissens- und Technologietransfer hinausgeht und die gewohnte Zusammenarbeit von Unternehmen und öffentlicher Forschung in Frage stellt. Was ist Open Innovation (nicht)?
Open Innovation beschreibt die aktive strategische Einbeziehung von externen Ideen und Kooperationspartnern in die Innovationsprozesse des Unternehmens. Das Modell wird als „offen“ bezeichnet, weil die Projekte auch auf dem externen Wissen von Kunden, Zulieferern und anderen Partnern sowie dem Technologietransfer aus anderen Unternehmen und Wissenschaftseinrichtungen basieren (Outside-in-Prozess). Zugleich werden Ideen, die nicht zum eigenen Unternehmen passen, durch Lizenzierung oder Ausgründung von anderen Unternehmen auf den Markt gebracht (Inside-out-Prozess). Open Innovation beschreibt einen Prozess und ist daher auch nicht gleichzusetzen mit Instrumenten wie Marktplätzen beziehungsweise virtuellen Innovationsplattformen, die in offenen Innovationsprozessen durchaus zur Anwendung kommen können, aber nicht müssen (www. ninesigma.com, www.innocentive.com und andere). In diesem Fall kommunizieren die Unternehmen mittels Ausschreibungen und Ideenwettbewerben vordefinierte Aufgabenstellungen an eine große Zahl externer Problemlöser über das Internet (Broadcasting), um kostengünstig viele Ideen zu sammeln und die passendste Lösung auszuwählen (Screening). Umgekehrt muss die Nutzung von Marktplätzen oder virtuellen Innovationsplattformen nicht automatisch bedeuten, dass es sich um einen offenen Innovationsprozess handelt. Chancen und Herausforderungen
Die Öffnung von Innovationsprozessen verspricht für die Unternehmen viele Vorteile: Die Risiken und Kosten von Forschung und Entwicklung (FuE) werden durch die Aufteilung auf mehrere Partner reduziert, das Potenzial an Ideen und Technologien vergrößert sich, die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen wird durch die Zusammenarbeit beschleunigt und die Produktivität der eigenen FuE steigt. Der Kreis der Kooperationspartner in einem Innovationsprojekt wird nicht von vornherein festgeschrieben, sondern je nach Bedarf um diejenigen erweitert, die für das anstehende Problem die besten und schnellsten Lösungsvorschläge anbieten. Die Unternehmen müssen nicht mehr die vollständige Forschungskompetenz für den gesamten Innovationsprozess vorhalten, sondern können einzelne wissenschaftliche Aufgaben an spezialisierte Fremdfirmen outsourcen. Selbstverständlich sind FuE-Kooperationen an sich kein neues Phänomen; neu ist aber quantitativ der Umfang der Zusammenarbeit und qualitativ der systematische Umgang damit. Open Innovation bedeutet nicht, alle Innovationsprozesse im Unternehmen dauerhaft zu öffnen, sondern als komplementäre Ergänzung bisher geschlossener Innovationsformen zu begreifen und mit diesen gezielt zu verbinden. Open Innovation ist kein Ersatz für die unternehmensinterne Forschung und Entwicklung, eigene FuE-Kompetenzen bleiben eine unabdingbare Voraussetzung für die Integration externen Wissens (Absorptionsfähigkeit). Zu den Risiken und Nebenwirkungen von Open Innovation können Einbußen bei der eigenen technologischen Kompetenz, die Offenlegung von unternehmensinternem Know-how, die Abhängigkeit von externen Partnern und die Komplexität bei der Absicherung von Verwertungserlösen gehören. Juristische Aspekte wie Gewährleistung, Haftungsfragen, Nutzungsrechte und Streitfälle wollen beachtet sein. Diese Probleme lassen sich prinzipiell lösen durch kompetentes Innovationsmanagement oder die Begrenzung des Umfangs des Wissensaustausches. Für Hochschulen und Forschungseinrichtungen bietet die Verbreitung von Open Innovation langfristig die Chance, neue Impulse für die eigene Forschung zu erhalten, zusätzliche FuE-Projekte und Drittmittel zu akquirieren oder bei der Verwertung des entstandenen Wissens durch Patente und Spin-offs beteiligt zu werden. Im Mittelpunkt des Open Innovation-Ansatzes stehen vorwiegend die Unternehmen und ihre Geschäftsmodelle; externe Partner wie Hochschulen oder Forschungseinrichtungen werden in der Literatur zu Open Innovation bisher wenig berücksichtigt. Open Innovation in der öffentlichen Forschung
Die Erkenntnisse aus der öffentlich geförderten Wissenschaft sind eine wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren und die weitere Verbreitung von Open Innovation. Der Erfolg der Unternehmen hängt entscheidend von der Quantität und Qualität des Wissens in ihrem Umfeld ab, das zu einem erheblichen Teil aus der öffentlichen Forschung stammt. Die öffentliche Forschung orientiert sich jedoch an Normen und Leitbildern, die schlechtmit den Anreizstrukturen der privaten Industrieforschung vereinbar sind. Dies zeigt sich bei der Veröffentlichung beziehungsweise Geheimhaltung von Forschungsergebnissen und im Umgang mit Schutzrechten, die im Open Innovation-Modell eine wichtige Rolle spielen. Einerseits sind die Unternehmen in offenen Innovationsprozessen zunehmend an Ergebnissen aus der öffentlichen Forschung interessiert und wollen frühzeitig das Know-how exklusiv für ihr Geschäftsmodell sichern, andererseits haben die Hochschulen und Forschungseinrichtungen ihre eigenen Verwertungsbemühungen in den vergangenen Jahren kontinuierlich verstärkt. Wissenschaftler an Hochschulen und Forschungseinrichtungen wiederum haben an sich nur ein begrenztes Interesse an Patenten, weil sie ihr Wissen veröffentlichen und weiterverbreiten wollen in der Hoffnung, Anerkennung und Ansehen in der Scientific Community zu erzielen. Diese Zielkonflikte können sich kontraproduktiv auf das Forschungsgeschehen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie die Beteiligung an Open Innovation auswirken. Mit zunehmender Verbreitung von offenen Innovationsprozessen könnten diese Probleme häufiger auftreten, zumal diese Prozesse tendenziell kleinteiliger und kurzfristiger als herkömmliche Kooperationen sind. In der Literatur zu Open Innovation werden diese Fragen bisher kaum thematisiert. Hier besteht Bedarf an weiterer Forschung – wie verändert sich die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft bei einer weiteren Verbreitung von Open Innovation? Welche Auswirkungen haben offene Innovationsprozesse auf die Ziele der Forschung, den Umfang des wissenschaftlichen Austausches oder die akademische Kultur in Hochschulen und Forschungseinrichtungen? Und wie lässt sich die Verwertungsorientierung in der öffentlichen Forschung am besten vereinbaren mit den Veröffentlichungswünschen der Forscher sowie den Geschäftsmodellen der Unternehmen? Resonanz in der Wissenschaft
Welche Resonanz hat Open Innovation demgegenüber in den Leitungen von Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Deutschland ausgelöst, wie haben Wissenschaftsorganisationen und das Wissenschaftsmanagement auf dieses Thema reagiert? Dazu wurde eine systematische Recherche auf den Internetseiten von 20 einschlägigen Organisationen und Medienangeboten aus dem Wissenschaftsbereich nach den Begriffen „Open Innovation“ sowie „Open Access“ durchgeführt. Die Annahme lautet, dass sich diese Institutionen mit derartigen Themen inhaltlich auseinandersetzen und diese Reaktion in Form von Verlautbarungen, Veranstaltungen, Projekten et cetera auf deren Internetseiten zu finden ist – sofern das Thema als wichtig für die Einrichtung erachtet wird. Für das ebenfalls englische Stichwort „Open Access“ trifft diese Annahme zu: Auf den Internetseiten aller 20 untersuchten Institutionen finden sich Stellungnahmen, Tagungshinweise, Erläuterungen et cetera zum Umgang mit diesem Phänomen, welches wie „Open Innovation“ seit Anfang der 2000er Jahre in der wissenschaftsinternen Diskussion wachsende Aufmerksamkeit erfahren hat. Hohe Trefferquoten ergaben auch die Begriffe „Open Science“ und „Open Data“. Mit dem Stichwort „Open Innovation“ ergab die Recherche jedoch nur drei Treffer bei den untersuchten Institutionen. Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Wissenschaftsorganisationen und das Wissenschaftsmanagement in Deutschland scheinen sich also bisher kaum mit Open Innovation als strategische Aufgabe auseinandergesetzt haben. Die Leitungsebenen und das Wissenschaftsmanagement in den Organisationen sollten daher prüfen, wie sie mit dem Thema Open Innovation strategisch umgehen wollen– ähnlich wie dies bei Open Access bereits vielfach geschehen ist. Anderenfalls besteht die Gefahr, von einer bereits seit Jahren andauernden Entwicklung überrollt zu werden und von den Unternehmen hauptsächlich als billiger Ideenlieferant angesehen zu werden, der sich die Bedingungen der Zusammenarbeit diktieren lässt. Für Hochschulen und Forschungseinrichtungen ergeben sich daraus mehrere Implikationen. In erster Linie gehört dazu die Entwicklung einer eigenen Innovationsstrategie: Wo liegen die Stärken und Schwächen im Wissens- und Technologietransfer beziehungsweise Innovationsmanagement, welche Ziele sollen künftig erreicht werden, mit welchen inhaltlichen Schwerpunkten, wer ist für Umsetzung und Controlling verantwortlich? Hochschulen und Forschungseinrichtungen sollten ein eigenes Innovationsmanagement entwickeln, um effektiv und effizient im spezifischen Kontext von Open Innovation-Projekten mitarbeiten zu können, das heißt innovative Ergebnisse schnell identifizieren, bewerten, transferfähig machen, schutzrechtlich absichern, gemeinsam mit den externen Partnern validieren und vermarkten. Das Wissenschaftsmanagement in der öffentlichen Forschung wird damit vor neue Anforderungen gestellt, denn offene Innovationsprozesse erfordern eine Weiterentwicklung der Managementpraxis. Die Mitarbeiter in Forschung und Wissenschaftsmanagement sollten auf allen Ebenen zu Open Innovation sensibilisiert und qualifiziert werden, unter anderem zum operativen Management der Zusammenarbeit, zu Such- und Findungsprozessen in offenen Innovationsnetzwerken oder der Analyse und Messung der Innovationsleistung der Kooperationen. Dazu gehören weiterhin Innovationsmanagement, Entrepreneurship, der Umgang mit Schutzrechten und Soft Skills (bereichsübergreifende Team- und Kommunikationsfähigkeit, flexible Organisationskulturen, Offenheit für neue Themen, „From Know-how to Know-who“). Das Selbstverständnis und die Rollenidentität des Wissenschaftsmanagements sollten sich zu einer aktiven Mitgestaltung von Innovationsprozessen weiterentwickeln. Voraussetzung dafür sind angemessene Investitionen in die Qualifizierung der Mitarbeiter und die Schaffung leistungsfähiger Strukturen innerhalb der Einrichtungen. In einem ersten Schritt müsste sich das Wissenschaftsmanagement in Deutschland überhaupt erst einmalgrundsätzlich mit Open Innovation als Herausforderung für die öffentliche Forschung auseinandersetzen. Auf längere Sicht würde sich Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit diesen Maßnahmen die Chance bieten, ein attraktiver Ansprechpartner für offene Innovationsprozesse auf gleicher Augenhöhe mit den Unternehmen zu werden. Vereinbarkeit mit der Innovationsförderung
Was bedeutet Open Innovation für die Innovationsförderung und wie kann sie auf diesen Wandel reagieren? Im Hintergrund steht die Frage, ob das langjährig gewachsene System der Innovationsförderung in Deutschland mit dem relativ neuen Open Innovation-Ansatz vereinbar ist und welche Unterstützung es für die Öffnung von Innovationsprozessen bietet. Open Innovation wird in der Forschungs- und Innovationspolitik in Deutschland zunehmende Aufmerksamkeit entgegengebracht, wie die aktuelle Hightech-Strategie der Bundesregierung zeigt: „Ziel der Bundesregierung ist es, die Verbreitung von Open Innovation in Unternehmen, Forschungsinstituten und Innovationsclustern zu unterstützen. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen können durch den Auf- und Ausbau geeigneter Open Innovation-Plattformen mehr Raum für kreative Lösungsansätze und neue Marktchancen gewinnen.“ Die Absicht zur Unterstützung von Open Innovation-Ansätzen ist also vorhanden, es ist aber derzeit noch nicht erkennbar, wie diese Absicht in konkreten Initiativen umgesetzt werden soll. In Deutschland ist über mehrere Jahrzehnte ein vielfältiges und gut ausgestattetes System der Innovationsförderung entstanden. Dieses Förderinstrumentarium ist hauptsächlich auf das traditionelle Modell der geschlossenen Innovation ausgerichtet. Für die Umsetzung der zahlreichen Förderaktivitäten hat sich ein umfangreiches Regelwerk der Projektförderung herausgebildet, das von den Förderinteressenten die frühzeitige Festlegung von Zielen, Laufzeit, Mittelbedarf oder Projektpartnern verlangt und strikte Vorgaben zu Schutzrechten und Ergebnisverwertung macht. Ob dieses Regelwerk auch für die Förderung von offenen Innovationsprozessen dienlich ist, ist eine offene Frage. Unter der Annahme, dass Open Innovation-Projekte per se offenere Ziele, unbestimmtere Laufzeiten, flexiblere Mittelbedarfe, wechselnde Projektpartner und eine andere Verwertungsphilosophie als traditionelle FuE-Projekte aufweisen, darf bezweifelt werden, ob die bestehenden Richtlinien für Open Innovation wirklich förderlich sind. Dazu ist weitere Forschung nötig beziehungsweise eine eingehende Überprüfung des Regelwerks vor allem im Hinblick auf den Umgang mit Schutzrechten und der Verwertungspflicht. Praktische Erfahrungen mit der Förderung von Open Innovation-Ansätzen gibt es bislang kaum. Einschlägige Förderprogramme wie der Spitzencluster-Wettbewerb, Forschungscampus oder Zwanzig20 zeigen, wie anspruchsvoll die Übersetzung von Open Innovation-Ansätzen in eine Förderbekanntmachung sein kann: Die darin formulierten Förderziele sind relativ abstrakt, die ausgewählten Konsortien verhältnismäßig groß, die vorgesehene Förderdauervergleichsweise lang. Es bleibt künftigen Evaluationen vorbehalten, die Praktikabilität dieser Förderbekanntmachung und das Innovationspotenzial der Ergebnisse zu beurteilen. Die bisherigen Erfahrungen deuten jedoch darauf hin, dass das System der öffentlichen Forschungs- und Innovationsförderung in Deutschland bislang wenig Unterstützung für die Öffnung von Innovationsprozessen in Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen bietet. Fazit
Offen bleiben muss auch die Frage, ob sich eine Open Innovation-Förderung eher an die Unternehmen oder an die Hochschulen und Forschungseinrichtungen richten sollte – je nachdem sind damit unterschiedliche Instrumente, Förderquoten und Effekte verbunden. Viele Unternehmen haben sich bereits mit dem Thema auseinandergesetzt und ihre Innovationsprozesse geöffnet – bei der öffentlichen Forschung scheint dies so gut wie gar nicht der Fall zu sein. Insofern wäre es naheliegend, vor allem an Hochschulen und Forschungseinrichtungen die Verbreitung von Open Innovation zu fördern, um deren Funktion als Kern regionaler Innovationsnetzwerke zu stärken. Begrenzte Fördermittel würden dort größere Effekte auslösen. Da die gängigen Argumente für staatliche Innovationsförderung (Wissensspillover, Unteilbarkeiten, Risikovermeidung, Marktversagen) in besonderem Maße auch für offene Innovationsprozesse gelten, wäre eine Förderung von Open Innovation-Projekten durch die öffentliche Hand nicht nur gerechtfertigt, sondern auch geboten. Außerdem sollte die Innovationsförderung globaler ausgerichtet werden und sich auch für die Einbeziehung internationaler Netzwerkpartner öffnen. Nicht-technische Innovationen und Dienstleistungen erfordern größere Aufmerksamkeit. KMU benötigen verstärkte Unterstützung im Umgang mit Open Innovation. Und schließlich sollte auch der Staat selbst als Open Innovator auftreten und eigene Entwicklungsvorhaben in offenen Innovationsprozessen durchführen. Letztlich ginge es darum, die bestehende Förderpolitik in ausgewählten Aspekten zu ergänzen, um das Klima für Open Innovation zu verbessern und damit die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Innovationssystems zu erhalten. Foto: Marc Tollas/pixelio www.pixelio.de
Den gesamten Artikel zum Thema "Open Innovation" lesen Sie in der aktuellen Ausgabe von WISSENSCHAFTSMANAGEMENT.
Bild: Marc Tollas/pixelio www.pixelio.de