Von Moskau nach Tiflis
news
Internationales
Von Moskau nach Tiflis

Im folgenden Aufsatz soll am Beispiel der Freien Universität Berlin und eines ihrer Verbindungsbüros gezeigt werden, wie eine Universität flexibel auf die Krise und die damit einhergehende Neuorientierung reagiert hat und wie dadurch sich neue Perspektiven für die Zusammenarbeit mit Institutionen in Ländern der ehemaligen Sowjetunion außerhalb Russlands ergeben werden.
Das Netzwerk der Verbindungsbüros der Freien Universität Berlin
Die Freie Universität hat im Kontext ihres für die Exzellenzinitiative entwickelten Konzepts der „International Network University“ schon ab 2005 ein Netzwerk aus sieben Verbindungsbüros weltweit gegründet, zuerst in New York (zusammen mit der LMU), Peking und Delhi, später dann in Moskau, Sao Paulo und Kairo. Diese Büros haben ähnliche Aufgaben, die aber je nach der Wissenschaftslandschaft vor Ort und den Bedarfen der FU-Forscherinnen und Forscher variieren können.
…
Das Moskauer Büro
Der Einrichtung eines Verbindungsbüros in Moskau im Jahre 2010 gingen zwei Entwicklungen voraus. Zum einen waren dies die historisch gewachsenen Kooperationen mit russischen Partnern, die nicht nur vom Osteuropa-Institut der Freien Universität, sondern auch darüber hinaus gepflegt wurden. Sichtbarer Ausdruck dieser Beziehungen war der Abschluss des Kooperationsabkommens zwischen der Freien Universität und der Staatlichen Leningrader Universität im Jahr 1968, des ersten Kooperationsabkommens dieser Art zwischen einer westdeutschen Universität und einem sowjetischen Partner.
Zum anderen bot der Erfolg in der Exzellenzinitiative mit dem oben genannten Konzept der „Internationalen Netzwerkuniversität“ die Möglichkeit, die Einrichtung einer ständigen Vertretung in Moskau umzusetzen. Zusätzlich zur Einstellung eines Leiters für diese Vertretung standen damit erstmals Mittel zur Verfügung, um substanzielle Aktivitäten vor Ort und alsbald in der Region zu ermöglichen. Da es am Moskauer Institut für Internationale Beziehungen (MGIMO) bereits ein FU-Programmbüro gab, von dem aus Tutoren und Tutorinnen einen politikwissenschaftlichen Studiengang organisierten, fand dort auch das Verbindungsbüro eine Bleibe.
…
„Zeitenwende“ in den internationalen Wissenschaftsbeziehungen
Wie die meisten deutschen Universitäten und die großen deutschen Wissenschaftsorganisationen reagierte die Freie Universität unmittelbar auf den Einmarsch Russlands in die Ukraine und setzte innerhalb weniger Tage alle institutionellen Abkommen und Programme mit russischen Universitäten aus, nur individuelle Mobilitäten – sowohl von Forschenden wie Studierenden – waren und sind weiter möglich. Diese Abkehr von der bisherigen Politik, auch in politischen Krisenzeiten zumindest den Austausch im wissenschaftlichen Bereich offen zu halten, war dem Schock über den brutalen und völkerrechtswidrigen Angriff geschuldet, der nicht nur von Bundeskanzler Scholz als „Zeitenwende“ wahrgenommen wurde. Der Beschluss wurde einhellig vom Präsidium gefällt und von der überwältigenden Mehrheit der Universitätsgemeinschaft mitgetragen.
Parallel zum Abbruch aller Beziehungen mit russischen Institutionen setzte die Freie Universität in Rekordzeit ein Hilfsprogramm für die angegriffene Ukraine beziehungsweise für Geflüchtete auf, das hier kurz nur in Stichworten umrissen werden soll: ein FU-eigenes Kurzstipendienprogramm, mit dem mehr als 50 geflüchtete Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen für jeweils drei Monate in Berlin oder der Ukraine unterstützt wurden, erleichterte Bedingungen für die Einschreibung von geflüchteten Studierenden, ein umfassendes Informations- und Betreuungsangebot für Geflüchtete, die Bereitstellung von eingeworbenen temporären Gastunterkünften und bereits ab Mitte Mai die Einrichtung von diversen Intensiv-Deutsch-Sprachkursen. Darüber hinaus wurden von den fünf existierenden Partner-Universitäten in der Ukraine, die vor allem durch Erasmus+ mit der Universität verbunden waren, inzwischen mehr als 30 Austauschstudierende aufgenommen.
…
Die Neuausrichtung des Büros
So sehr die Präsenz eines Büroleiters in Moskau in den ersten Wochen des Krieges hilfreich für die Freie Universität war, um eine Einschätzung der russischen Reaktionen in der Wissenschaft und der Öffentlichkeit aus erster Hand zu erhalten, so sehr wurde doch bald deutlich, dass für ein Verbleiben in Moskau ein wichtiger Teil der Arbeitsgrundlage entfallen war, auch wenn beispielsweise die Informationsanfragen nach einem Studium an der Freien Universität auch während des Krieges kontinuierlich weiter eintrafen.
Drei Alternativen wurden in Zusammenarbeit mit dem Büroleiter für die Neuausrichtung des Büros diskutiert. Am offensichtlichsten wäre – wie es auch andere Organisationen oder Firmen – gemacht haben, eine vorübergehende Rückholung und Eingliederung des Büroleiters in die Zentrale, also in das International Office der Freien Universität, wo er als Regionalexperte für Osteuropa Teile seiner bisherigen Aufgaben hätte weiterführen können. Ein starkes Symbol, aber praktisch undurchführbar wäre die zweite Variante gewesen, nämlich eine Verlagerung des Büros direkt von Moskau nach Kiew gewesen; mittelfristig bleibt dies eine Option, die aber erst eingelöst werden kann, wenn man dauerhaft die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Büros garantieren kann. Die Freie Universität entschied sich – nach einer detaillierteren Potenzialanalyse der gesamten Region – für eine dritte Lösung: Der Büroleiter reiste mit seiner Familie nach Georgien aus und etablierte dort ein neues Verbindungsbüro in Tiflis, das am 1.10.22 in den Räumen des Goethe- Instituts seine Arbeit aufgenommen hat.
…
Perspektiven und Herausforderungen
Mit der räumlichen Verlagerung des Büros einher geht auch eine Verlagerung des inhaltlichen beziehungsweise regionalen Schwerpunkts der Arbeit. Das Büro ist offiziell jetzt zuständig für die Wissenschaftskooperation der Freien Universität mit Osteuropa, Südkaukasus und Zentralasien. Das schließt Russland zwar weiter ein, bedeutet aber für die Zeit der Isolierung Russlands, deren Dauer im Moment niemand voraussehen kann, dass das Büro sich darauf konzentrieren wird, Kooperationen in der Ukraine, in den Südkaukasus-Staaten und den Ländern Zentralasiens zu stärken und neu aufzubauen und die Freie Universität für exzellente Studierende und Forschende noch bekannter zu machen.
…
Für die Arbeit eines Verbindungsbüros sind letztlich am wichtigsten die Interessen der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der eigenen Institution. Zwar vertreten die Verbindungsbüros immer die ganze Bandbreite der an der Universität vertretenen Fächer, aber natürlich kommt den jeweiligen Regionalwissenschaften immer eine besonders Rolle als Türöffner zu. Insofern sind die Weiterentwicklung und die künftigen Forschungsthemen des Osteuropa-Instituts der Freien Universität von großer Wirkung auch auf die Arbeit des Büros. Für die Osteuropa-Wissenschaften in Deutschland insgesamt kann man sicherlich sagen, dass Russland als die in politischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht alles dominierende Hegemonialmacht im Zentrum der Forschung und auch der Kooperationen stand und etwa die Ukraine trotz ihrer Größe und Bedeutung für Europa nur eine untergeordnete Rolle als Forschungsgegenstand und Kooperationspartner spielte.
Das Osteuropa-Institut an der Freien Universität stellt in dieser Hinsicht keine Ausnahme dar, hatte aber gerade im Bereich der Partnerschaften auch schon vor dem Krieg das Netzwerk in andere GUS-Staaten erweitert. Inwieweit sich diese starke Fokussierung in Zukunft ändern wird, bleibt abzuwarten, denn die Beschäftigung mit Russland ist ja in gewisser Weise wichtiger denn je.
…
Letztlich ist die Entscheidung von der Verlagerung des Büros nach Tiflis von der Überzeugung getragen, dass die Freie Universität von der erweiterten Regionalkompetenz und der neuen Fokussierung auf eine in Teilen bislang vernachlässigte wissenschaftliche Region profitieren wird.
- Der komplette Artikel ist im ► Onlineshop von Lemmens Medien erhältlich. Den Abonnenten der Zeitschrift Wissenschaftsmanagement steht der gesamte Beitrag in ihren Accounts zum kostenlosen Download zur Verfügung.
Dr. Herbert Grieshop ist promovierter Literaturwissenschaftler und seit 2009 an der Freien Universität Berlin. Er leitet die Abteilung Internationales.
Tobias Stüdemann ist Volljurist und leitet das Verbindungsbüro Osteuropa der Freien Universität Berlin.
Fotos: Bernd Wannenmacher