Hochschulwesen im Wandel
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Hochschulwesen im Wandel

Tourismus ist aus der Managementperspektive mit ähnlichen Besonderheiten und Herausforderungen konfrontiert wie es die Hochschulen sind. Die Untersuchung dieser Gemeinsamkeiten, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung und Transformation des Tourismussektors, könnte wertvolle Hinweise und eventuell Inspiration für die Strategieführung von Hochschulen im postpandemischen Zeitalter hervorbringen.
Demografie und Mobilität
Wie der Tourismus ist auch die Hochschullandschaft durch eine überwiegend klein- und mittelständisch geprägte Unternehmenslandschaft gekennzeichnet, die vor allem regionale heimische Nachfragemärkte bedient (Fritsch/ Piontek 2015) und sich den Herausforderungen der Digitalisierung, Internationalisierung, Nachhaltigkeit und Personalgewinnung stellen muss (Lin et al. 2016). Darüber hinaus sind sie von Entwicklungen in ihrem breiteren geografischen und sozioökonomischen Umfeld in hohem Maße abhängig.
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Die unsichtbaren Wirkungen der Digitalisierung
Im Mittelpunkt der Diskussion um die Digitalisierung steht die Ausweitung von Online-Lehr- und -Studienangeboten, wobei die Rolle der Technologie als Bereicherung für Präsenzformen und als Ermöglichung von mehr Flexibilität und Inklusion in der Hochschulbildung gesehen wird. Im Bereich der Hochschulverwaltung hat die Digitalisierung die Grenzen zwischen Arbeitsplatz und Wohnbereich teilweise durchlässiger gemacht und flexiblere Beschäftigungsmodelle ermöglicht, insbesondere als Nebeneffekt der Pandemiekrise. In diesem Zusammenhang verstärken die Forderung nach Prozessdigitalisierung und das damit verbundene Erfordernis als Arbeitgeber attraktiver zu sein, die oben genannten Auswirkungen auf den Hochschulbereich im Speziellen und den öffentlichen Sektor im Allgemeinen.
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Differenzierungsstrategien und „Omni-Marketing“
Differenzierung, verstanden als ein thematisch stimmiges Profil und ein entsprechendes Angebotsspektrum, das auf Nischenmärkte abzielt, ist für Spezialisten sowohl eine Chance als auch eine Herausforderung. Zwar können sie sich auf diese Weise aus dem harten Wettbewerbsumfeld standardisierter Angebote herauslösen, doch benötigen sie eine hinreichend „kritische Masse“ an Kunden, um ihre Kapazitäten langfristig profitabel auslasten zu können. Das wiederum lässt vermuten, dass klassische Werbung und geografische oder demografische Segmentierung nicht geeignet sind, um „Nischenkunden“ zu erreichen. Ebenso ist es eher unwahrscheinlich, dass potenzielle „Nischenkunden“ diese Angebote auf elektronischen Marktplätzen überhaupt wahrnehmen und darauf zugreifen, da ihr Mehrwert in der Vergleichbarkeit liegt, die durch eine Standardisierung der Angebote zustande kommt.
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Fazit
Für kleine und mittelgroße Hochschulen, die sich aktuell mit der demografisch und technologisch bedingten Konsolidierung im Hochschulbereich auseinandersetzen müssen, kann ein differenziertes Studiengangportfolio in Verbindung mit einem ‚Omni-Ansatz‘ die Grundlage für ihre zukünftige Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit bieten. Dies entspricht einem inhaltlich und qualitativ ausgebauten Leistungsversprechen, um die Positionierung von Fachhochschulen gegenüber größeren Einrichtungen national und international zu stärken. Aus einer bildungspolitischen Gesamtperspektive erleichtert die Schärfung eines zunehmend fließenden Grenzbereichs zwischen Universitäten und Fachhochschulen den Erhalt von Bildungspluralität und Studienauswahl in der deutschen Hochschullandschaft.
Allerdings ist die Umsetzung eines solchen Ansatzes notwendigerweise mit einer Reihe von Herausforderungen und Hindernissen verbunden, wie zum Beispiel Investitionen in Technologie, Infrastruktur und Personal, intensive Koordination und Zusammenarbeit zwischen Fachabteilungen, Fachbereichen und verschiedenen internen und externen Akteuren. Ebenso stellen Informationssicherheit und Datenschutz eine große Herausforderung dar, aufgrund des Umfangs, der Menge und der Komplexität der Daten, die erhoben und über diverse Wege ausgetauscht und genutzt werden müssen.
Die zur Bewältigung dieser Herausforderungen erforderliche organisatorische und administrative Handlungsfähigkeit ist derzeit im öffentlich finanzierten Bildungswesen nicht ausreichend kulturell, strukturell und regulatorisch eingebettet. Flache Hierarchien, die Dezentralisierung von Entscheidungs- und Führungsverantwortung, die Stärkung der Hochschulautonomie und der Servicegedanke in den Verwaltungsstrukturen können entscheidende Faktoren für eine solche Transformation sein. In diesem Zusammenhang bedarf es einer kritischen Überprüfung und einer Straffung der gesellschaftspolitischen Erwartungen sowie der entsprechenden staatlichen Finanzierungsmodelle, Leistungsindikatoren und Steuerungsgrundsätze für das Hochschulsystem.
An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen, dass der hier vorgestellte Denkansatz nicht mit der Forderung nach einer Deregulierung oder „Marktisierung“ des Hochschulwesens verwechselt werden darf, da sich dies nicht als wirksame Antwort auf die genannten Herausforderungen erwiesen hat, ganz im Gegenteil (Alajoutsijärvi et al. 2021; del Cerro Santamaría 2021; Dinham 2015; Hurt 2012; Oplatka/ Hemsley-Brown 2010).
In gewisser Weise zielt der vorliegende Beitrag darauf ab, einer solchen Entwicklung entgegenzusteuern, indem er die fachliche und geografische Diversität der Hochschullandschaft fördert und soziokulturelle und qualitative Aspekte in die Hochschulentwicklung einbezieht. Die Metaphern „Studierende als Kunden“ und „Hochschulbildung als Markt“ können durch „Studierende als individuelle Reisende“ und „Hochschulbildung als Landschaft“ abgelöst werden. In diesem Zusammenhang verdienen auch „kleine Bildungsgärten“ und „Orchideenstudiengänge“ eine faire Entwicklungschance.
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Prof. Dr. Dr. h.c. Alexis Papathanassis ist Professor für Seetouristik und Touristik sowie Rektor der Hochschule Bremerhaven.