Hochschule 4.0
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Hochschule 4.0
Einige der genannten Herausforderungen lassen sich in den bestehenden Hochschulstrukturen und -prozessen gut bewältigen, solange die grundsätzlichen Kapazitäten dafür zur Verfügung stehen. Andere der Herausforderungen sind als Querschnittsthemen und gesamtgesellschaftliche Aufgaben jedoch weniger gut für die klassische spezialisierte Bearbeitung durch Fachstellen geeignet (Kleve 2017).
In diesem Beitrag soll nun die Frage beantwortet werden, wie Hochschulen vor diesem Hintergrund einen Beitrag zum Querschnittsthema der Nachhaltigen Entwicklung leisten können.
Systemisches Modell der Hochschulentwicklung
Wenn Hochschulen die gesellschaftlichen Anstrengungen für Nachhaltige Entwicklung mitgestalten wollen, bedarf es einer Anpassung und Ergänzung der bisherigen Abläufe und der kleinteiligen Arbeitsteilung. Die Entwicklung in Richtung einer Hochschule 4.0 könnte hierbei zielführend sein. In diesem Modell werden Hochschulen zunehmend als zentrale Knotenpunkte für kooperative, gesellschaftliche Innovation und Problemlösung verstanden.
Diese Art des Hochschulverständnisses muss sich dabei erst aus den historisch gewachsenen Prägungen von Hochschulen und Universitäten herausentwickeln. Um dem jeweiligen Wertewandel und den zunehmend komplexen Anforderungen gerecht werden zu können, hat sich der Handlungsmodus der Hochschulen in den vergangenen Jahrhunderten stets weiterentwickelt. Etablierte Strukturen wurden dabei nicht einfach ersetzt oder entwertet, sondern ergänzt und neu eingeordnet.
Das folgende Modell der Entwicklung zur Hochschule 4.0 basiert einerseits auf Ideen von Otto Scharmer (2018, 2019) zur Hochschulentwicklung und andererseits auf der Kombination von Clare W. Graves (1970) systemischem Entwicklungsmodell mit der historischen Betrachtung der Hochschulentwicklung (Altbach 2008; Fallis 2007). Von Modus zu Modus steigt dabei die Zahl der einzubeziehenden Stakeholder des Wissenschaftsprozesses. Erst im Modus 4.0 wird Nachhaltige Entwicklung als ganzheitliche Aufgabe verstanden, welche ko-kreativ mit wichtigen gesellschaftlichen Akteuren erforscht und proaktiv bearbeitet werden soll.
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Schlussfolgerungen für die Gestaltung von Hochschulen
Wenn Hochschulen den komplexen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht werden wollen, scheint insgesamt eine Entwicklung in Richtung einer Hochschule 4.0 ratsam zu sein. Die dahinterliegenden organisationalen Öffnungsprozesse könnten dann gewährleisten, dass Hochschulen weiter gesellschaftlich relevant bleiben und ebenfalls einen substanziellen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten.
Hierfür müssen jedoch alle Subsysteme einer Hochschule einzeln betrachtet und gegebenenfalls zunächst Entwicklungsaufgaben der Modi 1.0 und 2.0 gemeistert werden. Viele Verwaltungen leiden beispielsweise unter eingefahrenen bürokratischen Strukturen, sodass hier zunächst ein Wechsel von einer Ordnungsorientierung (Hochschule 1.0) zu einer professionellen Prozessorientierung (Hochschule 2.0) gelingen muss, bevor die Kapazitäten für weitere Entwicklungen bereitstehen können. Gleichzeitig könnten beispielsweise bereits in Teilbereichen agile Projektarbeit erprobt, in einzelnen Lehrmodulen Service Learning Formate angeboten oder der Aufbau von Reallaboren gezielt unterstützt werden.
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Schlussfolgerungen für Nachhaltigkeitsgovernance
Effektive Nachhaltigkeitsgovernance sollte in diesem Rahmen dann sicherstellen, dass (a) nötige Strukturen geschaffen und Beschlüsse auch gefasst werden können, dass (b) wichtige Maßnahmen umgesetzt werden und dass (c) dezentrales Engagement gestärkt und nicht blockiert wird. Kern des Nachhaltigkeitsmanagements können Nachhaltigkeitsreferent:innen oder ganze Nachhaltigkeitsbüros sein, gegebenenfalls auch an entsprechenden Prorektoraten oder Vizepräsidien angedockt. Diese Nachhaltigkeitsstellen sollten vor allem für die interne Vernetzung, Bündelung und Kommunikation zuständig sein. In dieser Lesart nehmen die Nachhaltigkeitsbeauftragten eher eine koordinierende Rolle ein und verstehen auch operative Aufgaben wie die Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten als Chance für interne Vernetzung. Denn wenn sie sich primär um die eigenständige Abarbeitung von Nachhaltigkeitsberichten und -maßnahmen kümmern sollen, kann dies einerseits schnell zur Überlastung mit durchaus komplexen Aufgaben führen und andererseits auch dazu, dass anderswo Aktivitäten eingestellt werden, weil die Zuständigkeit in der Nachhaltigkeitsstelle gesehen wird.
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Fazit
Hochschulen sind gefordert, auf zahlreiche gesellschaftliche und hochschulspezifische Herausforderungen zu reagieren. Modelltheoretisch könnte die Entwicklung zu einer Hochschule 4.0 dabei helfen, Komplexität zu bewältigen und Nachhaltige Entwicklung mitzugestalten. Zahlreiche Öffnungsprozesse in Forschung, Lehre, Governance und anderen Handlungsfeldern ergänzen dann die bewährten Handlungsprinzipien von Hochschulen. Subsysteme, die derzeit bereits an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen, müssen jedoch zunächst entlastet und ihre Prozesse Schritt für Schritt weiterentwickelt werden.
Nachhaltigkeitsmanager:innen sollten im Sinne einer Hochschule 4.0 eher eine vernetzende als eine operative Rolle einnehmen, um möglichst viele dezentrale, eigenverantwortliche Aktivitäten ermöglichen und stärken zu können. Diese vernetzend-koordinierende Arbeit sollte einerseits durch strukturelle Verankerungen (beispielsweise durch Kommissionen, formalisierte Zuständigkeiten und Beschlüsse) und durch dezentrale Ansprechpartner:innen andererseits ergänzt werden, um eine gesamtinstitutionelle Bearbeitung von Themen der Nachhaltigen Entwicklung anregen zu können. Externe Vernetzung in spezialisierten Netzwerken kann zudem dabei helfen, schneller Orientierung und Handlungssicherheit zu erlangen.
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Dr. Bror Giesenbauer ist Mitarbeiter der Universität Bremen und Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltigkeit an Hochschulen (DG HochN).
Foto: Universität Bremen