Ambidextre Projektstrukturen für eine agile Hochschulverwaltung
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Hochschulverwaltung
Ambidextre Projektstrukturen für eine agile Hochschulverwaltung
Das Thema Agilität ist seit vielen Jahren in aller Munde. Den Anfang hat hier die Softwareentwicklung gemacht, wo agiles Projektmanagement weit verbreitet ist. Aufgrund der Mischung aus Prozess- und Projektorientierung hat es Agilität inzwischen auch in Unternehmen aller Größenordnungen geschafft, insbesondere wenn es um das Projekt- und Innovationsmanagement geht (Vahs/Brem/Oswald 2023). Bei staatlichen Organisationen sucht man solche Entwicklungen oft noch vergeblich. Allerdings wird auch dort Agilität seit einigen Jahren als Möglichkeit gesehen, um den komplexer werdenden Herausforderungen gerecht zu werden (Taubenberger 2023). Ein beispielhafter Ansatz von Agilität soll im folgenden Beitrag vorgestellt werden.
„Exzellente Forschung braucht exzellente Unterstützung“ – mit diesem Ziel startete das Agility Lab (AL) der betrachteten Hochschule, der Universität Stuttgart, um sie auf ihrem Weg zu einer agilen Organisation zu begleiten. Mitarbeiter:innen im Projekt AL sollen Pilotprojekte zu agilen Arbeitsformen in der Verwaltung der Hochschule initiieren, bei der Verbesserung von Prozessen unterstützen und Impulse für die bereichsübergreifende Vernetzung setzen. Um diese Aufgaben erfüllen zu können, wurde das AL als selbstorganisierte Projekteinheit konzipiert, die organisatorisch in der Verwaltung verankert ist, aber von einem wissenschaftlichen Institut geführt wird. Dadurch erhält sie genug Freiraum für das Experimentieren mit agilen Arbeitsformen und hat gleichzeitig die Möglichkeit, Organisationseinheiten innerhalb der Verwaltung sowie die Verwaltung mit den Fakultäten der Hochschule zu vernetzen. Theoretisch erklärt werden kann diese Vorgehensweise anhand der Forschung zu organisationaler Ambidextrie.
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Agilität in Organisationen
„Agilität ist die Gewandtheit, Wendigkeit oder Beweglichkeit von Organisationen und Personen beziehungsweise in Strukturen und Prozessen. Man reagiert flexibel auf unvorhergesehene Ereignisse und neue Anforderungen. Man ist, etwa in Bezug auf Veränderungen, nicht nur reaktiv, sondern auch pro aktiv.“ (Bendel 2019) Agile Organisationen können sich schnell, flexibel und vorausschauend an die Anforderungen der Umwelt anpassen, Chancen ergreifen und sich auf die Bedürfnisse ihrer Kund:innen ausrichten (Cegarra-Navarro et al. 2016; Renzl et al. 2021). Für die flexible und fokussierte Gestaltung von Projekten und die Zusammenarbeit in Projektteams können agile Frameworks und Methoden wie beispielsweise Scrum, Kanban oder „Objectives and Key Results“ (OKR) genutzt werden (Haberstock 2020; Schwaber/Sutherland 2020; Vallon et al. 2018). Gemeinsame Elemente dieser Arbeitsformen sind das wiederholte Planen in Zyklen von meist wenigen Wochen oder Monaten sowie eine enge Zusammenarbeit von weitgehend eigenständig arbeitenden beziehungsweise selbstorganisierten Teams.
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Ambidextre Strukturen zur Einführung von Agilität
Für die Einführung von agilen Arbeitsweisen können ambidextre Strukturen hilfreich sein. So können in einzelnen abgetrennten Organisationseinheiten agile Methoden erprobt werden, während die Organisation zunächst überwiegend noch mit „traditionellen“ Frameworks und Methoden weiterarbeitet (Lee et al. 2015; Mahringer et al. 2017). Ambidextrie ist die Fähigkeit einer Organisation, eine Balance zwischen der Entwicklung von neuem Wissen und neuen Technologien (Exploration) und der effizienten Nutzung von bestehendem Wissen für die effiziente Bewältigung der operativen Aufgaben der Organisation zu finden (Exploitation) (March 1991; O‘Reilly/Tushman 2008). Der beschriebene Spagat zwischen Exploitation und Exploration stellt eine große Herausforderung für Organisationen dar (O‘Reilly/Tushman 2008).
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Hochschulen als ambidextre Organisationen
Auch Hochschulen können ambidextre Organisationen sein (Thomas et al. 2023). Ihre Forschungsaktivitäten zielen schwerpunktmäßig auf die Ergründung von neuem Wissen ab und tragen somit zur Exploration der Hochschule bei. Bei der Weitergabe von Wissen an Studierende und in Weiterbildungsveranstaltungen dürfte es sich hingegen überwiegend um Exploitation handeln, auch wenn einzelne Lehrveranstaltungen und Studienarbeiten mit Forschungsprojekten verknüpft sind. Der Fokus der Verwaltungseinheiten und der Einheiten für die zentralen Services liegen ebenfalls in der Exploitation.
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Fallstudie: Agile Hochschulverwaltung
Die Hochschule aus der Fallstudie hat über 5.000 Mitarbeiter:innen und über 21.000 Studierende. Der Studienbetrieb und die Forschung werden von den Mitarbeiter:innen der zehn Fakultäten durchgeführt. Dabei werden sie von der zentralen Verwaltung und weiteren zentralen Einrichtungen wie einem Servicezentrum für Informations- und Kommunikationsdienstleistungen unterstützt. Die Verwaltung der Hochschule setzt sich zusammen aus einer zentralen Verwaltung und dezentralen Verwaltungseinheiten in den Fakultäten und Instituten. Insgesamt ist die Hochschule relativ dezentral organisiert, wodurch die Institute und Fakultäten vergleichsweise große Gestaltungsmöglichkeiten haben, aber auch viele Verwaltungsaufgaben selbst übernehmen müssen.
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Ansatz des Agility Labs
Das Projekt „Agility Lab“ ist ein im Rahmen der Exzellenzinitiative von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Projekt. Die Mitarbeitenden sollen Pilotprojekte zu agilen Arbeitsformen in der Verwaltung der Hochschule initiieren, bei der Verbesserung von Prozessen unterstützen und Impulse für die bereichsübergreifende Vernetzung setzen. Dafür wurde die Projekteinheit zum einen organisatorisch in die zentrale Verwaltung eingebunden, zum anderen wird sie von einem wissenschaftlichen Institut geführt. Dadurch erhält das Projektteam genug Freiraum für seine explorativen Pilotprojekte, ohne die routinisierten und damit auf Exploitation ausgerichteten Verwaltungsprozesse zu stören. Für die Erprobung der neuen agilen Arbeitsformen wird folglich der Ansatz der strukturellen Ambidextrie genutzt.
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Strategische Maßnahmen des Agility Labs
Die zentralen Aufgabenbereiche des AL sind es, den Einsatz von (1) agilen Arbeitsformen in der Verwaltung einer Hochschule zu erproben, zu modifizieren und im Rahmen von Pilotprojekten einzuführen sowie (2) die Initiierung von cross-funktionaler Vernetzung, die Förderung von einem agilem Mindset und die Konzeption von agilen Personalmanagementkonzepten.
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Fazit
Im vorliegenden Artikel wurde aufgezeigt, wie ein exemplarisches AL die Einführung von agilen Arbeitsformen in Pilotbereichen der Verwaltung vorantreiben und einen Veränderungsprozesse hin zu einer flexiblen, kundenorientierten und somit „agilen“ Verwaltung unterstützen soll. Um die routinisierten Prozesse in der Verwaltung bei diesem Veränderungsprozess nicht zu gefährden, können strukturelle und kontextuelle Ambidextrie kombiniert werden. Das AL in der Fallstudie ist als Querstruktur zwischen der Verwaltung und einem wissenschaftlichen Institut verankert und hat somit eine strukturelle Sonderstellung. Dadurch wird der Projekteinheit einerseits eine enge Verbindung zu den Verwaltungseinheiten ermöglicht während Freiräume zum Experimentieren gewahrt bleiben. Die Erprobung der agilen Arbeitsformen erfolgt im AL der Fallstudie in Pilotprojekten mit ausgewählten Abteilungen. Diese Mitarbeiter:innen wenden sich nur mit einem Teil ihrer Arbeitszeit der Erprobung von neuen Arbeitsformen zu: sie bleiben weiterhin fest in die bisherigen Prozesse der Verwaltung eingebunden. Führungskräfte und AL helfen ihnen in ihrem Arbeitsalltag dabei, die Balance zwischen Exploitations- und Explorations-Aufgaben, die kontextuelle Ambidextrie erfordert, zu halten. Im bisherigen Projektverlauf konnten bereits einzelne Prozesse verbessert sowie eine Community zum Thema Agilität aufgebaut werden. Diese Communities können wiederum Teams in anderen agilen Projektstrukturen dabei unterstützen, die notwendigen Netzwerke für die Verbreitung von agilen Arbeitsformen in der jeweiligen Organisation aufzubauen.
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Dr. Martin Rost ist Wissenschaftsmanager im Agility Lab der Universität Stuttgart und beschäftigt sich mit der Einführung von agilen Arbeitsformen, Methoden und Prozessen in der Verwaltung der Universität Stuttgart.
Prof. Dr. Alexander Brem ist Professor für Entrepreneurship in Technologie und Digitalisierung, gefördert vom Daimler-Fonds im Stifterverband, an der Universität Stuttgart und leitet dort das Institut für Entrepreneurship und Innovationsforschung (ENI).