Neue Synapse in einer zunehmend vernetzten Welt
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Wissensvermittlung
Neue Synapse in einer zunehmend vernetzten Welt
Bereits vier Jahre ist es her, dass zum ersten Mal über ein neues Virus namens „SARS-CoV-2“, besser bekannt als Corona-Virus, berichtet wurde. Als Folge der weltweiten Ausnahmesituation hat das Konzept der Wissens- und Wissenschaftskommunikation besonders an Präsenz gewonnen: Wissenschaftler:innen nehmen zunehmend beratende und informierende Funktionen für Politik und Gesellschaft ein (Pritlove/Molthagen-Schnöring 2020). Damit verknüpft sind Erwartungen, nicht nur wissenschaftlichen Fortschritt zu generieren, sondern diesen zugleich in verständlicher Weise zu kommunizieren, um Unsicherheiten in der Bevölkerung aufzulösen (Weingart/Carrier/Krohn 2007b, 9–10; Weingart/Carrier/Krohn 2007a, 294).
Aus sprachwissenschaftlicher Sicht wurde die Kommunikation von Wissen an Laien und Laiinnen lange abgewertet, als stark verkürzt und dadurch verfälscht angesehen und von der Wissenschaft durch den Begriff der Populärwissenschaft abgegrenzt. Anhand des vom Norddeutschen Rundfunk (NDR) produzierten Podcasts Coronavirus-Update (2021) mit Korinna Hennig und Professor Christian Drosten zeigt der vorliegende Aufsatz, dass diese Sicht überholt ist. Als Ausgangspunkt werden anhand eines Skalenmodells kommunikative Praktiken herausgearbeitet, die als einschlägig für das kulturelle und sprachliche Handlungsfeld von Wissenschaftspodcasts definiert werden können.
Die Vermittlung von Wissen im Medium Podcast
Podcasts unterscheiden sich von anderen, traditionellen, Kommunikationsformaten unter anderem dadurch, dass die Möglichkeiten der Themenwahl sowie des Ausdrucks und der Art der Gestaltung der Sendung quasi unbegrenzt sind (Mollett et al. 2017, 170, 172, 178–179; Kube 2012, 279; Birch/Weitkamp 2010, 892). In der Regel sind Podcast-Episoden bedeutend länger als etwa Themenberichte im Radio und innerhalb einer Episode können verschiedene Perspektiven, Hintergründe und Fragen abgewogen werden, ohne dass zwangsläufig eine finale Antwort gefunden werden muss (Mollett et al. 2017, 174; Kube 2012, 279).
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Kommunikation und Transfer von Wissen
Um Wissen über spezifische Themen mit der Gesellschaft als einer übergeordneten Wissenskultur zu teilen oder sich darüber auszutauschen, bedarf es immer der „Vermittlung von Wissen über (wissens)kulturelle Grenzen hinaus.“ (Konerding 2009, 97). Je ausgeprägter dieser Wissenstransfer in einem bestimmten Bereich ist, desto größer sind auch mögliche Anschlussstellen in den Wissensbeständen der Empfänger:innen. Der Wissenstransfer gehört der fachexternen Wissenschaftsvermittlung (nach Niederhauser 1999) an und ist dadurch mit spezifischen sprachlichen Praktiken verbunden. Dies betrifft vor allem Techniken und Strategien, die die Vermittlung unterstützen (ebenda, 117–118).
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Der Podcast im Skalenmodell der Wissenschaftssprachlichkeit
Die im Rahmen der linguistischen Untersuchung des Podcasts Coronavirus-Update angewandte Skalenmodellierung der Wissenschaft(ssprach)lichkeit nach Czicza et al. (2012), aufbauend auf Czicza/Hennig (2011), verknüpft pragmatische und grammatische Strategien im Bereich der Wissenschaftssprache. Die vier von ihnen definierten Ebenen sind nicht nur in wissenschaftlichen Texten zu vermuten, sondern können auch in anderen Kommunikationsformen genutzt werden, wobei sie mehr oder weniger stark ausgeprägt sind. Unter der Maxime des Erkenntniszuwachses (Czicza/Hennig 2011, 51) legen Czicza et al. (2012) die pragmatischen Ebenen Ökonomie, Präzision, Origo-Exklusivität und Diskussion fest, denen jeweils bestimmte grammatische Prozeduren zugeordnet werden.
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Fazit
Unter anderem das kürzlich veröffentlichte Wissenschaftsbarometer (Wissenschaft im Dialog 2023) zeigt ein gesteigertes Vertrauen in die Wissenschaft, wenn die Öffentlichkeit der Ansicht ist, dass Forschende ausreichend über ihre Arbeit kommunizieren. Trotz der Ausnahmesituation während der Coronapandemie haben Wissenschaftspodcasts und andere Medien dazu beigetragen, dass Individuen außerhalb der betreffenden wissenschaftlichen Sphären beispielsweise Entscheidungen nachvollziehen konnten, die die Politik auf Basis wissenschaftlicher Einschätzungen traf. Dies kann jedoch nur funktionieren, wenn die Sprache der Vermittlung dem kommunikativen Ziel angemessen ist. Offen bleibt die Frage, warum im nach-Pandemiejahr 2023 die fachexterne Wissenschaftskommunikation und damit auch der Kontakt zur Öffentlichkeit erneut stark abgenommen hat. Braucht es wirklich eine weltweite Krise, um auf verständliche Weise über die eigene Forschung zu berichten? Mit Blick auf den vorliegenden Aufsatz lautet die Antwort ganz klar nein: was es braucht, ist eine Sprache, die wissenschaftliche Themen auf eine greifbare Ebene bringt und sie dennoch nicht trivialisiert. Dies ist keine Sprache, die man eigens erlernen müsste, sondern eine deren grammatische Strukturen jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler bereits beherrscht.
Das Format des Podcasts ersetzt dabei keine wissenschaftliche Forschung oder macht alle Hörer:innen zu Expert:innen, sondern dient – sprachlich wie thematisch – als Brücke zwischen unterschiedlichen Kommunikationsdomänen. Und während nicht jede:r Wissenschaftler:in auch Wissenschaftskommunikator: in sein muss, so kann es doch nicht schaden, sich beizeiten zu vergegenwärtigen, was die eigene Forschung bedeutsam und anschlussfähig macht und wie man auch fachexterne Individuen dafür interessieren könnte. Wissenschaftspodcasts schaffen damit in der zunehmend vernetzten Welt eine neue Synapse.
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- Der vorliegende Beitrag basiert auf der Masterarbeit „Kommunikative Praktiken im Wissenschaftspodcast“ aus dem Sommersemester 2021.
Lizzi Herzberg, M.A. ist Alumna des Instituts für Deutsch als Fremdsprache der Universität Heidelberg und mittlerweile tätig als Beraterin zum Thema E-Learning bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) gGmbH.
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