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Wissenschaft in der Manege

news

Jochen Gimmel

Essay

Wissenschaft in der Manege

Vom Nutzen der Nutzenfreiheit – eine kritische Analyse auf dem Weg zum Reflexionsraum der Gesellschaft

Im Zuge des andauernden Umbaus der Hochschulen, der programmatisch als „Entfesselung“ (Müller-Böling 2000) begriffen wurde, wächst das Wissenschaftsmanagement im Verhältnis zu regulären Forschungsstellen so stark an, dass man von der Ausbildung einer Management-Blase sprechen könnte. Diese wird durch die künstlich geschaffene Konkurrenz an vermeintlich „deregulierten“ Universitäten genährt. Vor diesem Hintergrund einer Verselbstständigung wissenschaftlicher Verwaltungs- und (Selbst-)Organisationaufgaben ist die Frage nach dem Nutzen und der Nutzenfreiheit der Wissenschaft auf eine neue Art brisant: Das Wissenschaftsmanagement als „Serviceeinrichtung“ verfehlt seinen Zweck, freie Forschung zu gewährleisten, wenn es diese unter künstlich geschaffenen Effizienz-, Evaluierungs- und Exzellenzzwängen erstickt. Eine Besinnung auf die Bedeutung der Nutzenfreiheit von Forschung für Wissensgesellschaften des 21. Jahrhunderts wäre dazu angetan, das beinahe schon vergessene Ideal erkenntnisstiftender Muße als Maßstab der Wissenschaft und somit auch geglückten Wissenschaftsmanagements zu revitalisieren.

Foto: privat

Man vermutet die etymologischen Ursprünge des Begriffs Management unter anderem in einem Ausdruck für den Akt, ein Pferd an der Hand (manus) zu führen (agere) (Staehle/Conrad/Sydow 1999, 71). Da Wissenschaftler: innen nicht dafür bekannt sind, sich widerstandslos an der Nase durch die wortverwandte „Manege“ führen zu lassen, zeigt dieser Wortursprung ein Problem an: Wissenschaftler:innen, insbesondere aus den Geistes- und Sozialwissenschaften, die eine historische Reflexion ihrer Tätigkeit noch im Curriculum vorsehen, erweisen sich als professionell bockig gegenüber einer Leitung von außen und berufen sich dabei auf die Forschungs- und Lehrfreiheit. Zugleich bedarf es aber einer Organisation, um Ressourcen für die immens anwachsende Forschungs- und Lehrtätigkeit in Wissensgesellschaften zu erschließen und für sie einen institutionellen Rahmen zu schaffen. Das Wissenschaftsmanagement versichert, seine Leitungsfunktion sei nicht als Gängelung der Forschenden zu verstehen, sondern optimiere lediglich die Abläufe, um den Wissenschaftler:innen ihren Forschungsfreilauf allererst zu ermöglichen. Die Losung, das „Wording“, lautet: Wissenschaftsmanagement ist Service für die Forschung. Wer sich als „geniales Rennpferd“ – ein in diesem Zusammenhang passender Ausdruck Robert Musils (Musil 1981, 44) – im Stall einer Exzellenzuniversität betrachten darf, der wird managerial gepflegt, sodass sich der „Forscher als Marke“ (Adlmaier-Herbst/Mayer 2021) optimal entfalten kann. Wissenschaftsmanagement geriert sich als Care-Arbeit an der Karriere im Rahmen der Selbstoptimierung von Wissenschaft.

Fazit
Künstlich geschaffene Konkurrenz (Exzellenzstrategie) und eine verwaltungstechnische Verkomplizierung des Studiums in modularen Studiengängen (ECTS-System) tragen zu einer deregulativen Blasenbildung bei, die den Umbau zu demokratischen Massenuniversitäten weniger zu begünstigen als vielmehr zu behindern scheint. Diese Entwicklungen verdanken sich einer wissenschaftsideologischen Affinität zu Systemen der Messung und der Präsentation, die einen verwaltungstechnischen und evaluativen Kontrollbeziehungsweise Transparenzgewinn vorgaukeln; faktisch drohen jedoch Messverfahren das Zu-Messende und Darstellungsmittel das Zu-Präsentierende strukturell zu überlagern, wenn sie als Wissenschaftsmaßstäbe absolut gesetzt werden, statt an den Inhalten der Wissenschaft ihr Maß zu nehmen. Mit Muße als Kriterium gelingender Wissenschaft lassen sich grundsätzliche Kritikpunkte an diesen sich verselbstständigenden und kontraproduktiven Pseudo-Effizienzmechanismen formulieren. Einige, keineswegs neue, Forderungen lassen sich daher bekräftigen:

Entbürokratisierung der Wissenschaft – Effizienzgewinne in der Verwaltung: Das Zurückfahren der deregulativen Hyper-Regulierung könnte Ressourcen – finanzielle, arbeitsorganisatorische, innovative und menschliche – freisetzen, die dringend gebraucht werden, um die Universitäten so radikal zu reformieren, dass sie tatsächlich ihrer Aufgabe als Reflexionsfreiraum der „Wissensgesellschaft“ nachkommen könnten. Es geht dabei nicht um neue oder andere Steuerungswerkzeuge, sondern darum, der Effizienz Genüge zu tun, indem der blinden Betriebsamkeit Einhalt geboten würde. Wo der Wissenschaftsverwaltung auf lokaler Ebene wirklich Gestaltungsfreiraum gegeben wäre (von was angesichts der Bologna- Reformen und dem Überlebenskampf um Exzellenztitel kaum die Rede sein kann), könnten Effizienzgewinne durch ein (Selbst-)Organisationsprinzip der „Diversität“ universitärer Forschungsmodelle entstehen. Wer davor zurückschreckt, weil er die Vergleichbarkeit von Abschlüssen in Gefahr sieht, gibt den Anspruch auf innovative Forschungs- und Lehrmodelle letztlich auf.

Ausbau der Grundförderung: In der Konsequenz sollte die Wissenschaft aus dem zeitlichen Korsett der Projektbefristung und finanziellen Unsicherheit befreit werden, um ihrer gesellschaftlichen Funktion angemessen nachkommen zu können. Will sich eine Gesellschaft einen unabhängigen Reflexionsraum leisten – was sie tun muss, will sie sich ihrer, heute deutlich zu Tage tretenden, Eigendynamik der Selbstzerstörung nicht ohnmächtig ausliefern – muss sie die Unabhängigkeit von der gesellschaftlichen Verwertungslogik ohne weitere Auflagen garantieren können. Es bedarf einer bedingungslosen Grundfinanzierung der Universitäten.

Entfristung und Enthierarchisierung: Eine besondere Ineffizienz- Struktur in Deutschland ist hier erwähnenswert: Nirgends sonst wurde der Ausbau zu Massenuniversitäten durch die Schein-Wahrung der Sonderstellung von Professor:innen zugleich auf so irritierende Weise konterkariert wie hier. Das hat im internationalen Vergleich zu einer extrem hohen Rate an befristeten akademischen Stellen geführt, was gleicherweise der Universitätskultur als auch der Nachhaltigkeit von Forschung und Lehre abträglich ist. Für eine Mußekultur an den Universitäten bedarf es einer radikalen, arbeitsrechtlich verankerten Demokratisierung der Arbeits- und Führungsstruktur.

Letztlich handelt es sich aber bei all diesen Forderungen nur um Modifikationen eines Wissenschaftssystems, das grundsätzlich verändert werden müsste, wenn es der Idee der Universität und der Utopie einer Muße zur Wissenschaft nachkommen wollte. In dieser Hinsicht wäre über radikalere Veränderungen der Universität und die Bereitschaft, ihre bisherige Form grundsätzlich in Frage zu stellen, nachzudenken, um sie auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene als den Reflexionsraum einer „unbedingten Universität“ erst verwirklichen zu können.
 

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Dr. Jochen Gimmel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Sonderforschungsbereich 1015 Muße: Grenzen, Raumzeitlichkeit, Praktiken.