"Wie das Gehirn die Welt gerade rückt", "Wie frei ist der Wille wirklich?" und "Süß, spezifisch, sensitiv"
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Neues aus der Forschung
"Wie das Gehirn die Welt gerade rückt", "Wie frei ist der Wille wirklich?" und "Süß, spezifisch, sensitiv"

Wie das Gehirn die Welt gerade rückt
Justus-Liebig-Universität Gießen
Gießener Psychologen veröffentlichen Erkenntnisse zu Blickrichtung und Wahrnehmung von Objekten. Die menschliche Wahrnehmung liefert für gewöhnlich ein sehr genaues Abbild der Umwelt. Dass dieses Bild nicht verzerrt ist, ist der Lernfähigkeit des Gehirns zu verdanken, die bis ins Erwachsenenalter nicht nachlässt. Dies ist das Ergebnis einer Studie von Wahrnehmungspsychologen der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), die kürzlich im Forschungsmagazin „Current Biology“ veröffentlicht wurde. Längst ist zum Beispiel bekannt, dass ein betrachtetes Objekt verzerrt auf die Netzhaut projiziert wird. Der Grad der Verzerrung wird verstärkt, wenn sich die Blickrichtung vom Objekt weg bewegt – das Objekt sich also am Rande des Blickfelds befindet. Hinzu kommt die Tatsache, dass das periphere Gesichtsfeld im Vergleich zum zentralen Gesichtsfeld nur in einem relativ kleinen Bereich des visuellen Kortex repräsentiert ist.
Obwohl der Wahrnehmungsprozess mit solch massiven Verzerrungen verbunden ist, hat der Mensch nicht das Gefühl, dass sich das Erscheinungsbild eines Objektes maßgeblich verändert, wenn die Blickrichtung geändert wird. Weder scheinen die Objekte größer zu werden beim direkten Hinschauen, noch sieht der Menschen sie beim Wegschauen kleiner werden. Wie die Studie der Gießener Wahrnehmungsforscher Prof. Dr. Karl Gegenfurtner und Matteo Valsecchi, Ph.D., ergeben hat, dienen vor allem Blickbewegungen dazu, die verschiedenen Bereiche des Gesichtsfelds gegeneinander abzugleichen. Dies liegt nahe, weil ja die Blickbewegung ein zunächst peripher betrachtetes Objekt in die Fovea, also an die Stelle des schärfsten Sehens, bringt.
Um diese Lernfähigkeit zu belegen, ließen die Forscher erwachsene Testpersonen Objekte betrachten und veränderten die Größe dieser Objekte unbemerkt in dem Moment, in dem die Blickrichtung geändert wurde. Wie sich herausstellte, nahmen die Testpersonen nach einigen hundert Versuchsdurchgängen ein Objekt, dass von den Forschern erst während der Augenbewegung vergrößert wurde, bereits vorab – am Rande des Blickfelds – als größer wahr. Das Gegenteil war der Fall, wenn die betrachteten Objekte in der Versuchsanordnung verkleinert wurden. „Unsere Studie zeigt, dass Konstanz in der Wahrnehmung kein Merkmal ist, das uns ein für alle Mal gegeben ist“, bilanziert Prof. Gegenfurtner. „Es ist vielmehr das Resultat eines stetigen Abstimmungsprozesses, der auch im Erwachsenenalter dafür sorgt, dass unsere Wahrnehmungserfahrungen immer wieder neu kalibriert werden.“
http://www.uni-giessen.de/ueber-uns/pressestelle/pm/pm239-15
Wie frei ist der Wille wirklich?
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Berliner Wissenschaftler prüfen Grundmuster von Entscheidungen. Unser Wille ist freier als bislang angenommen. In computergestützten Experimenten haben Hirnforscher der Charité – Universitätsmedizin Berlin Entscheidungsabläufe am Beispiel von Bewegungen untersucht. Die entscheidende Frage: Lassen sich Prozesse im Gehirn wieder stoppen, wenn sie einmal angestoßen sind? Die Forscher kommen zu dem Schluss: Ja, bis zu einem gewissen Punkt, dem „point of no return“. Die Ergebnisse der Studie sind im aktuellen Fachmagazin PNAS* veröffentlicht.
Hintergrund der neuen Untersuchungen: Spätestens seit den 1980er Jahren diskutieren Hirnforscher, Psychologen, Philosophen und Öffentlichkeit über die Bewusstheit und Vorbestimmtheit menschlicher Entscheidungen. Seinerzeit studierte der amerikanische Forscher Benjamin Libet Hirnprozesse von Probanden, während sie einfache freie Entscheidungen fällten. Er zeigte, dass das Gehirn Entscheidungen bereits unbewusst vorwegnahm. Noch bevor sich eine Person willentlich entschieden hatte, war ein sogenanntes „Bereitschaftspotenzial“ in ihren elektrischen Hirnwellen zu erkennen.
Wie aber kann es sein, dass das Gehirn vorab weiß, wie sich ein Proband entscheiden wird, obwohl es diesem selbst noch gar nicht bewusst ist? Die Existenz der vorbereitenden Hirnwellen galt bis dato oft als Beleg für den sogenannten „Determinismus“. Demnach ist der freie Wille eine Illusion – unsere Entscheidungen werden durch unbewusste Hirnmechanismen erzeugt und nicht durch unser „bewusstes Ich“ gesteuert. Die Forscher um Prof. Dr. John-Dylan Haynes vom Bernstein Center for Computational Neuroscience der Charité haben die Thematik gemeinsam mit Prof. Dr. Benjamin Blankertz und Matthias Schultze-Kraft von der Technischen Universität Berlin neu aufgerollt. Mit aktuellen Messtechniken sind sie der Frage nachgegangen, ob Menschen geplante Bewegungsabläufe stoppen können, nachdem das Bereitschaftspotential für eine Handlung ausgelöst worden ist.
„Unser Ziel war herauszufinden, ob mit dem Auftreten der frühen Hirnwellen eine Entscheidung automatisch und unkontrollierbar erfolgt, oder ob sich der Proband noch anders entscheidet, also ein ‚Veto’ ausüben kann“, erklärt Prof. Haynes. Dazu haben die Wissenschaftler Probanden in ein „Hirnduell“ mit einem Computer geschickt und während des Spiels die Hirnwellen per Elektroenzephalographie abgeleitet. Ein speziell „trainierter“ Computer versuchte anhand der Hirnwellen vorherzusagen, wann sich ein Proband aufgrund von Anreizen bewegen würde und sollte den Probanden überlisten: Sobald die Hirnwellen Anzeichen dafür gaben, dass sich der Proband in Kürze bewegen würde, wurde das Spiel zugunsten des Computers manipuliert.
Wenn es Probanden möglich ist, aus der Falle der Vorhersagbarkeit ihrer eigenen Hirnprozesse zu entkommen, wäre dies ein Anzeichen dafür, dass sie über ihre Handlungen noch weit länger Kontrolle haben, als bisher angenommen. Genau das konnten die Forscher nun aufzeigen: „Die Probanden sind den frühen Hirnwellen nicht unkontrollierbar unterworfen. Sie waren dazu in der Lage, aktiv in den Ablauf der Entscheidung einzugreifen und eine Bewegung abzubrechen“, sagt Prof. Haynes. „Dies bedeutet, dass die Freiheit menschlicher Willensentscheidungen wesentlich weniger eingeschränkt ist, als bisher gedacht. Dennoch gibt es einen Punkt im zeitlichen Ablauf von Entscheidungsprozessen, ab dem eine Umkehr nicht mehr möglich ist, den ‚point of no return’.“ In weiteren Studien werden die Berliner Wissenschaftler komplexere Entscheidungsabläufe untersuchen.
http://www.charite.de/service/pressemitteilung/artikel/detail/wie_frei_i...
Süß, spezifisch, sensitiv
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Chemiker der Universität Jena entwickeln neuartiges Nachweissystem zur Analytik von Zuckern und stellen es im hochrangigen „Journal of the American Chemical Society“ (JACS) vor. Zweidimensionale Barcodes – kleine Quadrate mit zahlreichen schwarzen und weißen Punkten – sind heute fast überall zu finden: auf Tickets für Fernbus, Bahn oder Flugzeug, als QR-Codes auf Verpackungen, in Zeitschriften oder auf Werbeplakaten. Mit dem passenden Lesegerät, einem Scanner oder dem Smartphone, lassen sich die darin gespeicherten Informationen blitzschnell abrufen.
Noch weniger komplex, doch bereits ebenso spezifisch, sind die Informationen der Barcodes, die Chemiker der Friedrich-Schiller-Universität Jena derzeit entwickeln. Sie geben Aufschlüsse über die Zusammensetzung von Zuckerlösungen. Einem Team um Juniorprofessor Dr. Alexander Schiller ist es gelungen, die – bislang aufwendige – Analytik von Zuckermolekülen wesentlich zu vereinfachen. Ihr neuartiges Nachweissystem stellen die Jenaer Forscher in der aktuellen Ausgabe des hochrangigen „Journal of the American Chemical Society“ (JACS) vor (DOI: 10.1021/jacs.5b10934).
Grundlage des Nachweissystems sind chemische Zuckersensoren. „Wir nutzen Boronsäure-Verbindungen als Sensormoleküle“, erläutert der Chemiker und Heisenberg-Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft Schiller. Diese verbinden sich mit den Zuckermolekülen in der wässrigen Lösung. Dass sich Boronsäure zum Zuckernachweis eignet, ist den Chemikern bereits seit längerem bekannt. Knifflig war bislang, die gebundenen Zuckermoleküle eindeutig zu identifizieren, „da im Prinzip jeder Zucker mit den Sensoren interagieren kann“, so Schiller. Daher haben die Jenaer Chemiker die Boronsäure-Sensormoleküle an Fluor-Atome gekoppelt. Mit Hilfe der sogenannten 19F-NMR-Spektroskopie (Kernspinresonanzspektroskopie) können sie nun nicht nur die Bindung der Sensoren an die Zucker direkt „beobachten“. „Mit der NMR-Technik können wir auch eine Vielzahl unterschiedlicher Zuckermoleküle und verwandter chemischer Verbindungen deutlich voneinander unterscheiden“, unterstreicht der Jenaer Chemiker.
Da jedes Zuckermolekül sein eigenes, ganz spezifisches Spektrum aufweist, nutzen die Wissenschaftler die spektroskopischen Signale mehrerer Sensormoleküle, um für jeden Zucker eine Art „Fingerabdruck“ in Form eines zweidimensionalen Punktmusters zu erstellen. „Die roten, grünen und blauen kleinen Quadrate geben eindeutig Aufschluss über Art und Menge des nachgewiesenen Zuckers und sind auf einen Blick zu erfassen“, macht Schiller die Vorteile seines Verfahrens deutlich.
Diese Methode sei momentan vor allem im Forscheralltag nützlich, beispielsweise um mehrere Zucker in Urinproben nebeneinander nachzuweisen. „Generell lässt sich dieses Prinzip der Datenreduzierung aber auch auf andere zu analysierende Substanzen und auf signalgebende Verfahren wie Schwingungs- und UV/VIS-Spektroskopie übertragen“, ist sich Prof. Schiller sicher. Dies eröffne ein weites Feld künftiger Anwendungen.
https://idw-online.de/de/news643518
Bild: Rainer Sturm www.pixelio.de