Nützlichkeit steht nicht am Anfang
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Aktuelle Diskussion Wissenschaftsmanagement 3/14
Nützlichkeit steht nicht am Anfang

Das leitet mich zu zwei wichtigen Faktoren, die in der Reflexion der Art und Weise des Forschens immer eine Rolle spielen sollten – aber häufig nicht spielen: Zeit und Zeitlichkeit. Einerseits kann die Wirkung von Forschungsergebnissen der Gegenwart für den Fortschritt von Wissen oder für Anwendung womöglich heute noch nicht abgesehen werden, aber morgen erheblich wachsen und offensichtlich werden. Andererseits können Methoden und Inhalte altern und aus der Kategorie der Nutz- und Anwendbarkeit ins Archiv des Wissens abwandern.
Wenn wir also Donald E. Stokes‘ kategoriale Einordnung von Forschung in Quadranten und ihre Zuordnung zu prominenten Forscherpersönlichkeiten wie Niels Bohr („pure basic research“), Louis Pasteur („use-inspired basic research“) und Thomas Edison („applied research“)1 zugrunde legen, so müsste man in diesem Bild eigentlich eine Zeitachse ergänzen, um die zeitliche Relativität in der Beurteilung von Forschung nicht außer Acht zu lassen; aber auch, um damit die sogenannten negativen Forschungsergebnisse aufzufangen, die vielleicht nur zunächst nicht weiterführen, zu einem anderen Zeitpunkt und in neuen Kontexten aber durchaus hilfreich sind. Dann sind die Quadranten zwar eine Orientierungshilfe, wirken aber nicht wie ein strenges Schema. Forschung unterschiedlichen Typus‘ bleibt durchlässig und schreibt Forschungsprojekte nicht durch Einordnung und in Abgrenzung fest. Einzelne Forschungsstränge können nämlich über die Quadranten hinweg reichen und dann ebenso reines als auch (später) anwendbares Wissen schaffen und sichern.
In dieser Hinsicht halte ich unmittelbaren Nutzen und Nützlichkeit von Forschung für kein hinreichendes Entscheidungskriterium in Begutachtungs- und Bewilligungsverfahren, kann aber im Potenzial der Nützlichkeit einen Qualitätsindikator für Forschungsprojekte oder Forschungsideen erkennen.
Aufmerksamkeit und Achtsamkeit
Die Art von Forschung, die wir – nach den Überlegungen zu den unterschiedlichen Herangehensweisen und Zielsetzungen in der Forschung in aller Vorläufigkeit und Vorsicht – als angewandte oder anwendungsorientierte Grundlagenforschung bezeichnen, trägt ein weiteres Qualitätssiegel: Sie setzt eine Aufmerksamkeit und Achtsamkeit für das voraus, was in der Welt, in der Gesellschaft und in der Forschung geschieht und notwendig wird.
Insofern beruht Grundlagenforschung mit Anwendungsperspektive auf der intrinsischen Haltung von Forschern, Veränderungen wahrzunehmen, Dynamiken zu erkennen sowie Zusammenarbeit in der Forschung und darüber hinaus zu initiieren und mit Leben zu füllen. Bei der Leibniz-Gemeinschaft und ihren 89 Einrichtungen bedeutet die erkenntnisgetriebene und anwendungsorientierte Grundlagenforschung eine besondere Form der kooperativen Wissenschaft von Forschern, technischen und administrativen Mitarbeitern innerhalb der Leibniz-Gemeinschaft und über sie hinaus mit Kollegen an Universitäten und Instituten anderer Forschungsorganisationen im In- und Ausland. Die Verknüpfung von Wissen und Expertise vom Individuum zum Team, in einem Netzwerk und über institutionelle Rahmen hinweg ist Alleinstellungsmerkmal der Leibniz-Gemeinschaft und ihrer Forschung, das mir als Präsident gerade zu Beginn meiner Amtszeit sehr am Herzen liegt.
Übrigens: In gewisser Weise ist Grundlagenforschung natürlich immer nützlich – sie befriedigt Neugier und Wissensdurst und bereitet Wege für Folgefragen und ihre Antworten.
Einen weiteren Beitrag zum Thema "Grundlagenforschung" und Beiträge zum Schwerpunkt "Citizen Science" lesen Sie in der aktuellen Ausgabe von WISSENSCHAFTSMANAGEMENT.
Bild: Oliver Lang