Mensch-Technik-Interaktionen
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Kommentar
Mensch-Technik-Interaktionen

Fragen über Fragen, denen das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und unter Hinzuziehung zahlreicher Experten aus den unterschiedlichsten Wissenschaftsbereichen nachgegangen ist. Auch wenn es sich bei der nun auf 231 Seiten vorgelegten Studie nur um ein „wissenschaftliches Vorprojekt“ handelt, das laut Vorwort Grundsatzfragen für die Erforschung neuer Formen der Mensch- Technik-Interaktion (MTI) erforschen leisten soll, verdient es großes (wissenschaftliches wie öffentliches) Interesse. Denn immer mehr teilen sich Mensch und Technik den gleichen Raum, in dem nun auch die Technik ihre eigene Autonomie beansprucht? Etwa im Auto mit Fahrassistenz, wo der Fahrer bei Gefahr keine Möglichkeit mehr des Eingreifens hat? So sehr moderne Haushaltsgeräte Menschen, auch alten, den Alltag erleichtern können und sie von anderen Menschen unabhängiger machen (Roboter, die ein Getränk an den Sessel bringen oder selbständig staubsaugen), so können nun wiederum die Menschen abhängiger von der Technik werden.
Noch drängender wird die Frage nach technischen Interaktionen, die sich durch die immer größer werdenden Datenmengen verselbstständigen können. Erhalten sie dadurch eine eigene Autonomie? Der bislang gern benutzte Einwand, es sei schließlich der Mensch, der den Computer programmiere, stimmt nur bedingt. Zum einen kommt es darauf an, welcher Mensch mit welchen Interessen den Computer programmiert, zum anderen aber wandelt sich das Verhältnis von Mensch und Technik ständig, lässt die Technik immer selbstständiger werden. Somit kommt, da haben die Karlsruher Fraunhofer-Forscher recht, dem Wandel von Autonomie und Kontrolle (WAK) durch neue Mensch-Technik-Interaktionen eine Bedeutung zu, deren Ausmaß bislang von der Politik kaum erkannt wird. Jedenfalls muss in diesem Zusammenhang die bisherige ethische Maxime „Der Mensch darf nicht alles, was er kann“ neu bedacht werden. Zumindest müssen wir, so die Forscher aus Karlsruhe zur Kenntnis nehmen, „dass wir uns in einem Wandel von Autonomie und Kontrolle“ befinden.
Heißt dies, dass sich der autonome Mensch längst auf dem Rückzug befindet und der Technik immer mehr Autonomie überlässt mit bislang unbekannten Folgen? Das heißt es nicht. Vor allem dann nicht, wenn endlich die Mensch-Technik-Interaktionen ethisch ernster genommen werden. Immerhin haben die Karlsruher Fraunhofer deutlich gemacht, dass diese Fragen nicht nur von der Technik beantwortet werden können, sondern auch von den Geistes- und Lebenswissenschaften. Denn eine selbstlernende Technik kommt ja nicht ohne die Erkenntnisse der modernen Hirnforschung aus. Auch wenn in dieser Studie die Chancen der Technik für ältere und alte Menschen nur gestreift wird (eigentlich schade), so bilden doch die von den Forschern gestellten offenen Fragen das eigentliche Rückgrat dieser Studie – wobei der theoretische Teil für die weitere Forschung und die Beantwortung der offenen Fragen unverzichtbar ist.
Fragen über Fragen
Hier nur einige wenige Fragen, die die Fraunhofer zur weiteren wissenschaftlichen Bearbeitung für wichtig halten: Was muss der Mensch tatsächlich können, um autonom zu sein? Muss der Mensch eine neue Kompetenz erlernen, damit er autonome Systeme nutzen oder mit ihnen interagieren kann? Wie können Big Data-Strukturvorschläge nachvollziehbar und überprüfbar werden, ohne zugleich von Big Data-Algorithmen abhängig zu werden? Wie wird sich die Personalität des Menschen langfristig ausbilden, wenn es mehr technisch vermittelte Mensch-Mensch-Interaktion gibt? Was ist technische Autonomiefähigkeit? Ist die Zuschreibung von menschlichen Eigenschaften auch Verantwortungsabweisung an Technik? Was darf beim Experimentieren mit Technik und Möglichkeitsräumen nie riskiert und nie zu riskieren ermöglicht werden?
Das ist nur eine kleine Auswahl an offenen Fragen, die die Fraunhofer in ihrer Studie stellen. Zugleich macht die Studie auf neue Entwicklungen aufmerksam, die außerhalb der betreffenden Fachwelt noch kaum diskutiert und damit auch hinterfragt werden. Das gilt etwa für die Gamification, die spieltypische Elemente und Prozesse für andere Entwicklungen als des Spielens nutzt. Als wichtige Felder für diesen Bereich werden Prävention und Therapie, Lernen sowie Innovation in Forschung und Entwicklung genannt. In diesen Bereich gehören auch die Exergames. Sie sollen beispielsweise durch die Kombination aus Videospielen und Monitoring des körperlichen Befindens sowie von medizinischen Daten die Gesundheit verbessern. Gleichzeitig soll dadurch die soziale Interaktion verbessert und die Lebensqualität gesteigert werden. Das wäre beispielsweise für alte Menschen empfehlenswert. Entsprechende Versuche in einem norddeutschen Altenheim sollen durchaus erfolgreich gewesen sein. Aber es wäre auch denkbar, die Gesundheitsdaten über Sensoren auf der Haut oder Implantaten während des Spielprozesses direkt abzufangen und hochzuladen. Sofort stellt sich aber nicht nur den Fraunhofer-Forschern die Frage, ob der kombinierte Einsatz von Technologie aus Big Data und Gaming den Wandel von Autonomie und Kontrolle verstärkt. Auf dem Fuß lauert auch der Missbrauch etwa für Werbung.
Fazit
Kurzum: Wie lassen sich aktuelle und zukünftige Mensch-Technik-Verhältnisse autonomieorientiert erforschen, designen und (er)leben, sodass sie eine akzeptierbare und wünschbare Balance von Assistenz und Autonomie, von Komfort und Kontrolle ermöglichen? Die vorliegende Untersuchung der Karlsruher Fraunhofer- Forscher zeigt, dass die Grundsatzfragen autonomieorientierter Mensch-Technik- Verhältnisse einer stärkeren öffentlichen Diskussion bedürfen. Das gilt nicht zuletzt im Blick auf die älteren Menschen, die das Bundesbildungsministerium nicht bei der Finanzierung dieser Studie im Blick hatte. Denn die Autonomie gerade alter Menschen ist immer in Gefahr – und sei es durch eine falsch verstandene Bevormundung. Letztere kann auch durch die zunehmende Inanspruchnahme technischer Hilfsmöglichkeiten erfolgen, die aber die älteren Menschen gar nicht wollen. Wo beginnt (und endet) ihre Autonomie, vorhandene Technik zu akzeptieren oder abzulehnen. Vor allem aber: Wer bestimmt, welche verfügbare Technologie auf Hilfe angewiesenen Menschen nützt und welche sie ihrer Autonomie beraubt?
Wandel von Autonomie und Kontrolle durch neue Mensch-Technik-Interaktionen
Grundsatzfragen autonomieorientierter Mensch-Technik-Verhältnisse Fraunhofer Verlag Stuttgart, 231 Seiten, 2014
Bild: DLR (CC-BY 3.0)