Hochschullehrer kritisch gegenüber Umsetzung der Bologna-Reform
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HRK-STUDIE
Hochschullehrer kritisch gegenüber Umsetzung der Bologna-Reform
Die neue Studie „Wandel von Lehre und Studium an deutschen Hochschulen – Erfahrungen und Sichtweisen der Lehrenden (LESSI)“ ist die erste ihrer Art in Deutschland und erfasst die Einstellung der Lehrenden gegenüber den reformbedingten Veränderungen an ihren Hochschulen. Mit der 1999 unterzeichneten Bologna-Erklärung erklärten sich 29 europäische Bildungsminister bereit, bis 2010 einen „einheitlichen“ Hochschulraum zu schaffen, unter anderem durch die Angleichung und gegenseitige Anerkennung von Hochschulabschlüssen. Im Auftrag des Projekts nexus der HRK befragte das International Centre for Higher Education Research der Universität Kassel (INCHER-Kassel) hierzu im Wintersemester 2011/2012 ca. 8.200 Lehrende – etwa 21 Prozent der Professoren und des wissenschaftlichen Mittelbaus der deutschen Hochschulen. Etwa 6.500 Befragte arbeiten an 35 deutschen Universitäten, mehr als 1.700 Hochschullehrer von mehr als 40 deutschen Fachhochschulen beteiligten sich zudem. Knapp drei Viertel der Befragten unterstützen demnach die angestrebte Verbesserung der Lehre, 48 Prozent erachtet zudem die Erhöhung der internationalen Mobilität von Bachelor-Studierenden als sinnvoll. Weitere Ziele der Bologna-Reform – etwa die erhöhte Durchlässigkeit des Studiums sowie größere Praxisnähe – erfuhren weniger Unterstützung, wurden jedoch laut der Studie „eher positiv“ eingestuft. Die Krux liegt nach Meinung der Hochschullehrenden in der Umsetzung: Etwas mehr als die Hälfte der befragten Lehrenden ist mit den Veränderungen von Lehre und Studium unzufrieden. Die größten Kritikpunkte sind die steigende Verschulung des Studiums sowie eine wahrgenommene Einschränkung der Freiheit von Forschung und Lehre. Insgesamt mehr als 60 Prozent stehen der Einführung der Bachelor/Master-Struktur an Hochschulen ablehnend gegenüber. An Fachhochschulen ist hierbei die Zustimmung deutlich größer als an Universitäten. Zudem kritisierte eine Mehrheit explizit den gestiegenen individuellen Zeitaufwand für Lehrende, etwa durch mehr Betreuungsaufgaben, bei unzureichend steigenden (personellen) Ressourcen. Zwischen Universitäten und Fachhochschulen herrscht Uneinigkeit, was die Bewertung der Praxistauglichkeit von Bachelor-Studiengängen angeht: An Universitäten zeigten sich Lehrende im Gegensatz zu Fachhochschulen deutlich stärker ablehnend gegenüber steigender Praxisnähe der Studiengänge sowie der größeren Ausrichtung des Studiums am Arbeitsmarkt – beides erklärte Ziele der Bologna-Reform. Auch die Einstufung des Bachelor-Abschlusses als arbeitsmarkt-befähigende Ausbildung kritisieren eher Universitäts-Lehrende als ihre Pendants an Fachhochschulen; der Master wird von ihnen als notwendiger Teil zur Komplettierung der Ausbildung wahrgenommen. Die einzige nennenswerte Ausnahme in der Wahrnehmung der Umsetzung durch die Lehrenden stellt die erhöhte Mobilität dar. Mehr als die Hälfte der Befragten hob die erfolgreich durchgeführten Veränderungen für mehr Anerkennung europäischer Studienleistungen hervor (Stichwort Erasmus-Programm). „Die Lehrenden zeigen eine große Reformbereitschaft, sind aber auch kritisch – so soll es sein!“, resümiert Prof. Dr. Holger Burckhart, Rektor der Universität Siegen und als HRK-Vizepräsident für Studium und Lehre zuständig. Den größten Handlungsbedarf für die Hochschulentwicklung sehen die Lehrenden in der Ausstattung der Hochschulen mit mehr Personal – 93 Prozent halten diesen Aspekt für wichtig. Außerdem werden mehrheitlich Maßnahmen zur Verbesserung der Anerkennung der Lehre und Studierbarkeit sowie die Einrichtung von Praxisphasen als feste Bestandteile jedes Studiengangs vorgeschlagen. HRK-Präsident Horst Hippler forderte als Reaktion auf die Ergebnisse eine bessere Finanzierung der Hochschulen, damit die Reformen erfolgreicher umgesetzt werden können: „Die Studienreform hat die Umstrukturierung der Lehre notwendig gemacht, ohne dass dafür entsprechende Mittel zur Verfügung standen. Angesichts wachsender Studierendenzahlen und höherem Betreuungsaufwand in den Bachelor- und Masterstudiengängen muss nun endlich die Grundfinanzierung der Hochschulen deutlich an diese Situation angepasst werden. Es kann nicht sein, dass Professorinnen und Professoren dem hohen Betreuungsaufwand in der Lehre ausgesetzt sind und gleichzeitig exzellente Forschung betreiben sollen.“