Organisationsentwicklung in neun Wünschen
news
Nachhaltigkeit
Organisationsentwicklung in neun Wünschen
Als Organisationen mit gesellschaftlich wichtiger Funktion spiegeln die Universitäten, Fachhochschulen und Kunsthochschulen im Lande die gesellschaftlichen Entwicklungen wider. Dieser Prozess ist idealerweise reziprok.
Hochschulen greifen gesellschaftlich relevante Themen auf und verarbeiten und integrieren sie in Forschung, Lehre und Administration. Gleichzeitig entwickeln sie Impulse und Lösungsansätze, die sie in die Gesellschaft zurückgeben. Der Bereich der Forschung für nachhaltige Entwicklung wächst, ebenso die Anzahl der Studienangebote mit einer Ausrichtung in Umwelt- oder Nachhaltigkeitsfragen. Hinsichtlich Abfallmanagement oder der Beschaffung werden Hochschulen mancherorts zum „role model“ für andere Organisationen.
Von zarten Anfängen zur dynamischen Organisationsentwicklung
Ich erinnere mich, wie es um das Jahr 2018 anfing, als ich als Hochschulberaterin vor Ort das Erstarken des Themas beobachten konnte, das bis dahin nur von Einzelnen betont worden war. Von jenen, die sich oft genug in eine „Öko-Ecke“ gestellt sahen, wenn sie etwa die Menge an internationalen Flügen zwecks Teilnahme an Tagungen in Frage stellten. Langsam änderten sich die Small-Talk-Themen in den Workshops – immer öfter ging es um Themen wie Klimaschutz, um die Energieeffizienz von Gebäuden und sogar der Gebrauch von Plastikgeschirr in den Workshops wurde gerügt. Es traten immer mehr Akteure in Forschung, Wissenschaft, Wissenschaftsmanagement oder Studierendenschaft hervor, die das Thema an ihren jeweiligen Standorten enorm und wirkungsvoll pushten. Derzeit, mitten im Jahr 2023, vergeht kaum keine Woche, in der nicht eine weitere Hochschule die Verabschiedung einer Nachhaltigkeitsstrategie verkündet, mindestens eine Stelle für eine Position im Bereich Nachhaltigkeitskoordination ausgeschrieben wird oder eine Veranstaltung rund um das Thema Nachhaltigkeit in der akademischen Welt organisiert wird. Nachhaltigkeit ist meiner Einschätzung nach im Jahr 2023 zu einem der wichtigsten Querschnittsthemen für Organisationen insgesamt avanciert – insbesondere in den Bereichen Forschung, Bildung und Wissenschaft.
Individuelle Hochschulen gehen individuelle Wege
Als Hochschulberaterin bin ich mit vielen verschiedenen Hochschulen und Akteuren in Kontakt. Es ist faszinierend zu sehen, welche unterschiedlichen und individuellen Wege die Hochschulen gehen, um das Thema Nachhaltigkeit zu bearbeiten. Hochschulen verändern ihre Formalstruktur durch die Integration von Nachhaltigkeitsthemen. Es werden „Green Offices“ gegründet, Nachhaltigkeitsbüros etabliert oder personell an anderen relevanten Stellen weiter aufgestockt. Neue Institute mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit entstehen: an der Universität Lüneburg gibt es sogar eine ganze Fakultät für Nachhaltigkeit.
…
Wunsch 1: Positionierung für das Thema und eine Nachhaltigkeitsstrategie entwickeln
Jede Hochschule braucht eine eigene, individuelle Nachhaltigkeitsstrategie. Und zwar eine, die die organisationale Individualität und das fachliche Profil berücksichtigt sowie die Geschichte der Institution, die bisherigen Strukturen und Aktivitäten rund um das Thema aufgreift und bestärkt.
…
Wunsch 2: #Rectors For Future und #Presidents For Future werden
Für eine stärkere Ausrichtung einer Hochschule am Thema Nachhaltigkeit gilt, was für alle Organisationsentwicklungsprozesse gilt: Es kommt auf die Organisationsleitungen an. Im Idealfall versteht sich die Person an der Spitze der Hochschule als Rector For Future beziehungsweise President For Future, vertritt dieses Rollenverständnis in der Hochschule und verleiht dem Thema damit für alle sichtbar Bedeutung.
…
Wunsch 3: Verankerung in der Hochschulleitung
So wichtig es auch ist, dass Rektor:innen und Präsident:innen dem Thema Nachhaltigkeit Gewicht verleihen, so wichtig ist es ebenfalls, das Thema an eine Funktionsrolle innerhalb der Hochschulleitung zu koppeln. Hochschulen brauchen Prorektor:innen oder Vizepräsident:innen für Nachhaltigkeit. Was nicht unmittelbar bedeuten muss, dass das Rektorat oder das Präsidium um eine Person erweitert wird.
…
Wunsch 4: Ein Nachhaltigkeitsbüro einrichten
Jede Hochschule braucht einen Ort, an dem das Thema Nachhaltigkeit im Leistungsprozess Administration verankert ist. Ob Nachhaltigkeitsbüro, Nachhaltigkeitskoordination, Referat oder Abteilung oder Team für Nachhaltigkeitsmanagement – wichtig ist, diese Zuständigkeiten auf operativer Ebene einzurichten.
…
Wunsch 5: Ein Gremium für Nachhaltigkeit schaffen
Jede Hochschule braucht ein Gremium, das sich des Themas annimmt und es stellvertretend für alle Mitglieder der Hochschule weiterdenkt. An vielen Hochschulen heißt dieses Gremium Nachhaltigkeitsrat oder Rat für nachhaltige Entwicklung. Es kann auch ein Thinktank für Nachhaltigkeit sein oder eine Arbeitsgruppe. Wichtig ist, dieses Gremium offiziell einzusetzen und festzulegen, welche Aufgaben, Kompetenzen und Befugnisse es für die nächste Zeit haben soll.
…
Wunsch 6: Rolle der eigenen Forschung erörtern
Klimawandel, Artensterben, Umweltschutz und Nachhaltigkeit gehören weltweit zu den entscheidenden Themen für die Zukunft unserer Gesellschaften. Die Nachhaltigkeitsforschung leistet einen enormen Beitrag, um die anstehenden Menschheitsfragen zu bewältigen. Die explizite Nachhaltigkeitsforschung nimmt jedoch einen vergleichsweise kleinen Teil der universitären Forschung ein.
…
Wunsch 7: Die Lehre auf den Prüfstand stellen
Zwar ist es großartig, dass immer mehr Hochschulabsolvent:innen mit Wissen ausgestattet sind, um eine nachhaltigere Zukunft zu gestalten und dass sie ihren Bildungsauftrag bezüglich nachhaltige Entwicklung ernst nehmen und immer mehr Lehrveranstaltungen und ganze Studiengänge entstehen, die sich mit Fragen der Nachhaltigkeit, mit Klima und Umweltschutz befassen. Doch was ist mit den klassischen Studiengängen? Inwiefern brauchen alle Absolvent:innen mehr Wissen rund um Nachhaltigkeit, auch wenn sie nicht in diesem Bereich eingeschrieben sind? Inwiefern sind Lehrinhalte, die vor zehn Jahren noch als zeitgemäß galten, dies auch heute noch, in den Zeiten der enormen ökologischen Menschheitsprobleme?
…
Wunsch 8: Green Offices fördern und das Engagement der Studierenden würdigen
Zur Eröffnung des 15. BMBF-Forum für Nachhaltigkeit im Mai 2019 wurde ein Einspieler gezeigt, in dem die damalige Kölner Schülerin Jana Boltersdorf von Fridays For Future forderte, dass Politik und Wirtschaftssystem endlich angemessen auf die wissenschaftlichen Fakten und Erkenntnisse reagieren mögen. Der Sozialpsychologe und mit seiner Stiftung futurzwei für Nachhaltigkeit engagierte Harald Welzer war einer der Eröffnungsredner und kommentierte den Einspieler mit dem Hinweis, dass 30 Jahre Wissenschaftskommunikation der Hochschulen es nicht geschafft hätten, was Fridays For Future innerhalb eines Jahres geschafft habe, nämlich die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur ökologischen Krise ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Und tatsächlich waren es vor allem die Studierenden und angehenden Studierenden, die das Thema Nachhaltigkeit mit Wucht auch in die Hochschulen getragen haben. Und damit die Entwicklung, die wir heute sehen, so richtig in Gang gebracht haben.
…
Von Studierenden ging auch ein maßgeblicher Impuls für die Einrichtung neuer, für Nachhaltigkeit zuständiger Organisationsstrukturen aus. Im Jahr 2010 wurde an der Universität Maastricht von Studierenden ein sogenanntes Green Office gegründet und war das erste seiner Art. Ziel eines Green Office ist, die bestehenden Nachhaltigkeitsaktivitäten zu bündeln und noch mehr Wissen zum Thema in die Hochschule hineinzutragen.
…
Wunsch 9: Sich vernetzen und voneinander lernen
Mein letzter Wunsch ist besonders leicht in die Tat umzusetzen – und dabei so nützlich und wirkungsvoll. Wissenschaft und Forschung leben von Vernetzung und Austausch, ebenso das Wissenschaftsmanagement. Jede Hochschule, jede Wissenschaftsorganisation wird sich in den kommenden Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit weiter und intensiver auseinandersetzen müssen. Die Hochschulen mögen sich deshalb vernetzen, sich austauschen, sich gegenseitig Ideen und Impulse geben und voneinander lernen. Gerne über die Hochschularten hinweg und sowohl nach Funktionsrollen (etwa die Prorektor:innen/Vizepräsident:innen, und die Koordinator:innen) als auch nach Interesse oder Thema (zum Beispiel zur Frage der Kompensation von internationalen Flugreisen, in Fragen von Campus-Mobilität, für credits for engagement). Tatsächlich wird das mehr und mehr Realität!
…
Fazit
Nach der Internationalisierung und der Beschäftigung mit Diversity und Chancengleichheit, mitten in der anstrengenden aber notwendigen Debatte um Machtmissbrauch an Hochschulen sowie um prekäre Beschäftigungsverhältnisse des wissenschaftlichen Nachwuchses und nach den massiven Herausforderungen, die durch die Pandemie verursacht wurden – nach all dem gibt es mit Nachhaltigkeit ein weiteres Thema, das es gilt, in der Dauerbaustelle Hochschulorganisation zu verankern.
- Der komplette Artikel ist im ► Onlineshop von Lemmens Medien erhältlich. Den Abonnenten der Zeitschrift Wissenschaftsmanagement steht der gesamte Beitrag in ihren Accounts zum kostenlosen Download zur Verfügung.
Dr. Ute Symanski ist Gründerin von futurWiR – Beratung für Politik und Wissenschaft in Köln und seit 2008 Hochschulberaterin, Coachin und Mediatorin für Hochschulleitungen und Führungspersönlichkeiten im Wissenschaftssystem. 2019 startete sie den Podcast Sciencemanagers For Future – Gespräche für ein nachhaltiges Hochschulsystem.