Institutes for Advanced Studies: Ein Feigenblatt?
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Forschung
Institutes for Advanced Studies: Ein Feigenblatt?
Seit Albert Einstein am Institute for Advanced Studies in Princeton dem deutschen Faschismus entkommen ist, ist diese Form einer akademischen Einrichtung über jeden Zweifel erhaben. Zwar ist der Name IAS („Institute for Advanced Studies”) kein geschützter Begriff, aber er gilt bei Institutionen weltweit, die sich mit dem Kürzel schmücken, als Garant für organisatorische, akademische und intellektuelle Vielfalt. Was also ist ein IAS? Allen gemeinsam ist, dass sie einen geschützten Ort bieten, an dem frei von Einschränkungen Wissenschaft betrieben wird und an dem interdisziplinärer wissenschaftlicher Austausch stattfindet. Forschung soll dabei nicht zweckgerichtet stattfinden. Der Gründer des IAS in Princeton, Abraham Flexner, verteidigte 1939 „the Usefulness of Useless Knowledge“ (siehe auch Padberg 2020). Trotz des Anscheins, einen Elfenbeinturm zu bewohnen, erzeugt die interdisziplinäre Arbeit nachweisbar eine gesellschaftliche Wirkung (Luisa Veras de Sandes-Guimarães 2022).
Inseln der Seligkeit
Viele bieten etablierten Wissenschaftler: innen einjährige Fellowships an und bilden damit Jahreskohorten des interdisziplinären Austausches. Damit ermöglichen sie jeder einzelnen, jedem einzelnen Fellow ein knappes Jahr freier Forschung ohne Lehrverpflichtung, ohne administrative Aufgaben, ohne Gremienarbeit und mit starker Unterstützung, etwa bei der Literaturbeschaffung. Willkommene Inseln der Seligkeit in einer wissenschaftlichen Karriere!
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Notwendige Freiräume schaffen
Eine tiefergehende Erklärung weist auf eine andere Ursache hin: Unsere modernen Universitäten verlieren zunehmend die notwendigen Freiräume, um Kreativität walten zu lassen, in Ruhe nachzudenken und miteinander ins akademische Gespräch zu versinken – eben jene Faktoren, die eine „Universitas” ausmacht oder ausmachen sollte. Der Geist der „Universitas” ist ein besonderer Geist: die akademische Konzentration, das Zelebrieren von Wissen und von (Noch)-nicht-Wissen, die Freiheit zu denken und zu sprechen, die Zeit, sich in ein Gebiet zu vertiefen ohne engmaschige Evaluationszyklen – dieser Geist geht zunehmend verloren, durch immer größeren Verwaltungsaufwand in der Lehre, in der Drittmittelakquise und -bewertung sowie in der Selbstverwaltung, um nur einige Faktoren zu benennen.
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Was lernen wir daraus? Wir brauchen noch mehr IAS in Deutschland, denn sie bieten einen Raum der wichtig ist, und zunehmend kleiner wird. Und: Wir sollten Ideen aus den IAS ziehen und sie in die Universitäten zurückbringen, damit nicht nur die wenigen, die zeitweilig auf der Insel leben, selig werden. Ich denke, es gibt viele Möglichkeiten jenen Geist wieder in die Universitäten zu bringen, wobei klar sein muss, dass es nicht darum geht, aus den Universitäten IAS zu machen, sondern darum, den Geist der „Universitas“, der Stätte freien Denkens, mit noch mehr Leben zu füllen.
Fazit
Ich würde gerne drei Vorschläge unterbreiten, ohne dabei einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Der eine richtet sich an die Politik, ein anderer an die Universitäten, und ein weiterer an die Gesellschaft im Allgemeinen:
1. Die Politik könnte die Lehrverpflichtung für Professorinnen und Professoren von neun Semesterwochenstunden (SWS) auf sieben SWS senken.
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2. Die Universitäten könnten mehr Gelegenheiten anbieten, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Damit könnten wir über Fachbereichsgrenzen hinweg den Geist der freien Kommunikationskultur beleben.
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3. Die Gesellschaft könnte die intellektuelle Fähigkeit von Emeriti stärker einbinden – wenn zum Beispiel zum gemeinsamen Essen auch die Emeriti eingeladen würden, wäre eine größere Kommunikation zwischen den Generationen möglich.
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Prof. Dr. C. Giovanni Galizia ist Direktor des Zukunftskollegs an der Universität Konstanz – ein IAS, das vornehmlich Fellowships an junge Forscher:innen vergibt, bevor sie eine Dauerprofessur erhalten haben.
Foto: Inka Reiter