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Das Streben nach der Wahrheit konstituiert Wissenschaft

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Michael Zürn

Aktuelle Diskussion

Das Streben nach der Wahrheit konstituiert Wissenschaft

Notwendige Kritik oder demokratieschädliche Desinformation?

Wenn Wissenschaft als elitär abgetan wird, unbestimmte Zweifel gesät und das Falsifikationsprinzip in der öffentlichen Debatte zurückgewiesen wird, hat das schwerwiegende Konsequenzen für die Legitimität demokratischer Prozesse. Aber worin unterscheiden sich demokratieschädliche Wahrheitsinfragestellungen und Desinformationskampagnen von legitimer und demokratisch notwendiger Kritik?

Foto: Valerie Schmidt

Die Kritik an den Praktiken und Argumenten der Herrschenden ist ein notwendiger Bestandteil der liberalen Demokratie. Ohne Kritik gibt es keine Opposition, keine öffentlichen Debatten und letztlich keine Wahl zwischen Alternativen. Ebenso ist die Kritik an für gesellschaftlich als wahr anerkannten Wahrheiten Bestandteil einer demokratischen Öffentlichkeit und des liberalen Wahrheitsregimes. Mit diesem Begriff sind soziale Prozesse gemeint, mittels derer in liberalen Demokratien ermittelt wird, was in der gesellschaftlichen Breite als wahr und richtig angesehen wird. Die Notwendigkeit der Kritik ergibt sich zwingend aus dem Kernproblem einer aufgeklärten Wahrheitssuche: all das, was wir zu einem bestimmten Zeitpunkt für wahr halten, kann nur bis zu dessen Widerlegung als wahr gelten. Die Möglichkeit der Widerlegung besteht immer fort, eben weil wir aufgrund unserer epistemologischen Grenzen nie ganz sicher sein können, dass etwas wahr ist. Das Geschäft der Widerlegung kann sogar als Kern der Wissenschaft angesehen werden. Robert Merton (1942) spricht in diesem Zusammenhang von der Wissenschaft als „organisiertem Skeptizismus“. Dort, wo es einen solchen Skeptizismus nicht gibt und die Kritik an für wahr gehaltene Aussagen verstummt, herrscht nicht das liberale Wahrheitsregime und kann es auch keine Demokratie im eigentlichen Sinne geben.

Wahrheitsproduktion

Die Schwierigkeit, dass wir nie sicher wissen können, ob etwas wahr ist oder nicht, wird im liberalen Wahrheitsregime durch die regulative Idee der Wahrheit aufgefangen. Sie geht davon aus, dass wir Wahrheit nie direkt erkennen können und dass einzelne Aussagen immer durch kognitive Vorentscheidungen sowie die Perspektive des Beobachters beeinflusst werden. Jede Wahrheitsaussage unterliegt der Kritikmöglichkeit und kann potenziell durch abweichende Beobachtungen und gute Gründe zurückgewiesen werden. Es gibt demnach keine absolute Wahrheit.

(…)

Öffentliche Debatten sind meist medial vermittelt. Die Medien bieten eine Plattform für solche Debatten, gleichzeitig wirken insbesondere die Qualitätsmedien auch als Gatekeeper und Schiedsrichter in solchen Debatten. Die „Schleusenwärter“ (Jürgen Habermas) der Öffentlichkeit selektieren legitime von illegitimen Positionen und sollen offensichtliche Unwahrheiten herausfiltern. Gleichzeitig wählen sie auch die Sprecherinnen und Sprecher in den Debatten aus. Wer bekommt einen Platz in der Talkshow? Wessen Artikel werden gedruckt? Wessen Äußerungen erhalten Nachrichtenwert? Auch die Antworten auf diese Fragen können und sollen kritisiert werden. Die Kritik an der Selektivität der Medien kann eine legitime Kritik in der Demokratie sein. Umgekehrt kann man ebenso die Qualität der öffentlichen Auseinandersetzung bemängeln, wenn etwa zu viele unqualifizierte Stimmen Gehör finden. Auch das ist eine legitime Kritik der gesellschaftlichen Wahrheitsproduktion.

(…)

Alternative Fakten, Zweifel, Antiexpertisen und Unsinn

Hinter der These der alternativen Fakten verbirgt sich zumeist die Ablehnung des Falsifikationsprinzips. Als Kellyanne Conway, die Kampagnenmanagerin und offizielle Beraterin von Präsident Trump, mit Daten und Bildern konfrontiert wurde, die die Behauptung widerlegten, dass bei Donald Trumps Amtseinführung mehr Menschen dabei waren als bei Barack Obama, sprach sie kurzerhand von „alternativen Fakten“. Sie wendete sich also gegen die Möglichkeit der Falsifikation ihrer These. Schon Hannah Arendt hat mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass die Politik nicht der beste Lebensraum für Wahrhaftigkeit sei. Die Lüge gehöre zum Instrumentenkasten des politischen Wettbewerbs. Sie war traditionell ein Akt des Verbergens der Wahrheit, der in dem Moment scheitert, in dem das Verbergen misslingt. Das Falsifikationsprinzip blieb so in Kraft. Die Rede von den alternativen Fakten hingegen streicht die Möglichkeit der Widerlegung.

(…)

Autoritäre Populisten unterlaufen die regulative Idee der Wahrheit und das liberale Wahrheitsregime. Jede der drei Taktiken greift es an unterschiedlichen Stellen an: Die unbestimmte Negation bestreitet generell die Idee der (vorübergehend) anerkannten Wahrheiten. Sie stellt die Nutzung von Wissen in Frage und reduziert Politik auf die Auseinandersetzung von Interessen und bloßen Meinungen. Die hausgemachte Wissenschaft greift die spezifische Rolle der Wissenschaft in der Ermittlung von vorübergehenden Wahrheiten und Erkenntnissen an. Was als wissenschaftlich gesichert angesehen wird, wird nicht mehr von den Wissenschaftler:innen mit der höchsten Reputation, sondern von den Teilnehmer:innen in der politischen Auseinandersetzung selbst bestimmt. Das Ergebnis ist bekannt: Es gibt keinen Orientierungspunkt und keine Instanz jenseits der einzelnen Wahrnehmungen und Interessen.

Fazit

Ohne die Anerkennung der regulativen Idee der Wahrheit kann es keine sinnvollen öffentlichen Debatten und damit auch keine liberale Demokratie geben. Demokratie kann nur dann funktionieren, wenn der Entscheidungsprozess und die nachträgliche Bewertung getroffener Entscheidungen vor dem Hintergrund der regulativen Idee der Wahrheit erfolgen und reflektiert werden. Für alle Konzeptionen der Demokratie ist also ein Pluralismus der Positionen und Meinungen notwendig, die allesamt mit einem Wahrheitsanspruch auftreten können. Ein Wahrheitsrelativismus hingegen, der schon die regulative Idee der Wahrheit ablehnt, ist der Demokratie abträglich. Deswegen müssen wir lernen, Kritik als Mittel des demokratischen Prozesses zu sehen und es von denjenigen Praktiken zu unterscheiden, die das liberale Wahrheitsregime unterminieren.

 

  • Der komplette Artikel ist im Onlineshop von Lemmens Medien erhältlich. Den Abonnenten der Zeitschrift Wissenschaftsmanagement steht der gesamte Beitrag in ihren Accounts zum kostenlosen Download zur Verfügung.

 

Prof. Dr. Michael Zürn ist Direktor der Abteilung Global Governance am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und Professor für Internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin

Foto: Valerie Schmidt